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Rapunzel im Quarantäneturm

Hui… da bin ich wieder! Eigentlich wollte ich meine Märcheninterpretationen in Bezug auf die Corona-Pandemie zum Ende bringen, da es ganz gut aussah im Sommer, ich meine mit sinkenden Infektionszahlen und so. Aber jetzt, was ist denn jetzt schon wieder los? Nach Reiserückkehren und Hochzeits- und Privatfeiern und wilden Partynächten schnellen die Zahlen wieder hoch. Und was macht unsere phantasiebegabte Regierung? Keule raus und Rundum-Lockdown-Leid (Haha, Sprachscherz!). Also mach ich weiter mit meinen Corona Märcheninterpretationen, die viel Beifall von den Lesern geerntet haben. Und warum soll ich nicht weitermachen, wenn ich schon mal Beifall ernte? Und diesmal wähle ich aus der Grimmschen Märchensammlung feinnervig Rapunzel heraus. Es könnte natürlich sein, dass der einen oder dem anderen das Märchen kurzzeitig entfallen ist, und deswegen will ich da freundlich auf die Sprünge helfen und das Märchen im Telegramstil noch einmal Revue passieren lassen:
Eine Zauberin fing sich ein junges, unschuldiges und also jungfräuliches Mädchen ein und beschloss, diese kleine Jungfrau in einem Turm einzusperren, um das Mädchen in aller Ruhe und frei von äußeren Einflüssen erziehen zu können. Das Mädchen trug ihre blonden Haare nach der damaligen Mode sehr sehr lang und war somit weit entfernt von dem heute bei Frauen so beliebten Kurzhaarschnitt.
Immer, wenn die Zauberin ins Turmzimmer steigen wollte, rief sie: „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!“
Und schwups warf Rapunzel ihre Haare gezopft, geflochten oder offen zum Fenster hinaus. Die Zauberin hat sich an den Haaren entlang hoch gehievt, um die täglichen Belehrungen durchzuführen: Astrologie, Menschenkunde, höfisches Benehmen und dergleichen mehr.  Aber wie das immer so ist, ging es nicht so recht voran, da einem jungen Mädchen, eingeschlossen in einem Turm, der Sinn nach Anderem steht, als Wissen anzuhäufen. Es will Leben, Lust und Leidenschaft erfahren. Am ganzen Körper, mit allen Sinnen. Und also sehnt es sich nach Kontakt zur Außenwelt. Hemmungsloser, verbotener Kontakt. Yeah!
Nun scheint es ein Naturgesetz zu sein, dass da, wo sich junge, reine Mädchen aufhalten, junge Männer herumstromern. In unserem Fall war es sogar ein Prinz, der zufällig im Wald am Turm vorbeikam und aus sicherem Versteck heraus den Spruch erlauschte: „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!“
Und als die Zauberin weg war, rief er zur Nachahmung begabt den Spruch hoch: „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!“
Auf diese Weise schaffte er sich sozusagen unlauteren Zugang zur Jungfrau.
Und schwups kam das blonde, dicke Haar herunter und der Prinz kletterte behände, weil jung und sportlich trainiert, hoch und stand dann vor der erstaunten jungen Frau. Die beiden kamen ins Gespräch, und von nun an war abgemacht, dass der Prinz täglich beziehungsweise nächtens regelmäßig vorbeischauen sollte.
Aber wir Menschen können nun einmal heimliches Glück nicht ertragen und müssen uns immer verraten. So auch unser Mädchen. Denn eines Tages fragte sie die Zauberin: „He Zauberin, warum seid Ihr eigentlich so viel schwerer als der Prinz?“
Oha, da wurde die Zauberin sauer, denn ihr Kontaktverbot war hinterrücks unterlaufen worden. Kurz entschlossen schnitt sie dem Mädchen die Haare ab und schmiss sie raus. Dann knotete sie die Haare am Fensterkreuz fest und auf den Ruf des Prinzen warf sie die Haare runter. Der Prinz kletterte hoch und, oh Schreck, oh Graus, er stand vor der Zauberin und so war es aus mit zärtlicher Liebelei. Sie schmiss ihn wutentbrannt vom Turm, direkt in ein Dornengestrüpp. Au weh, die Augen! Er war geblendet und irrte von nun an blind durch die Welt. Auch Rapunzel irrte mit ihren inzwischen geborenen Zwillingen durch die Welt. Doch alle Märchen wollen ein Happy End und am Ende trafen sich die beiden wieder und Rapunzels heiße Tränen der Liebe tropften auf des Prinzens blinde Augen und er wurde wieder sehend.
Oh, glückliches Versinken in die Hoffnung, dass am Ende alles gut wird.
So, und nun interpretatorisches Handwerkszeug ausgepackt und Bezüge hergestellt. Los geht’s!
Die Zauberin ist natürlich unsere Zauberkanzlerin. Hat sie nicht oft bewiesen, dass sie wahllos Lösungen herbeizaubern kann? Das Mädchen soll die Nachfolge der Zauberkanzlerin antreten, um die Frauenquote im Parlament hochzureißen. Dafür soll die Nachwuchspolitikerin von Grund auf in das heutige moderne Politik-Leben eingeweiht werden. Und natürlich will die Zauberkanzlerin ihre Nachfolge vor allen üblen Einflüssen schützen und sperrt sie deswegen in den Quarantäneturm. Um eine gute Zauberkanzlerinnachfolgerin zu werden, muss die geplante Nachfolgerin Tag und Nacht büffeln: Politik, parlamentarische Grundregeln, Verfassungskunde, Grundgesetz für Fortgeschrittene, demokratische Debattenkultur …
Natürlich wird die Zauberkanzlerin umlauert, und zwar von drei Männern. Kaum Geistesprinzen, aber eben Politiker. Und die wollen die Pläne der Zauberkanzlerin dergestalt durchkreuzen, dass sie endlich wieder mal einen Mann als Parteivorsitzenden haben wollen, und alle drei kaum verholen auf den Posten der Zauberkanzlerin scharf sind.
Die Zauberkanzlerin aber ist verbitterter denn je und ihre Mundwinkel reichen bis weit unter das Kinn. Sie schmeißt kurzerhand alle drei Kaum-Prinzen aus dem Quarantäneturm, und jetzt irren die Prinzen blind und politisch völlig phantasielos im Wählerwald umher. Sie sehen auf einmal keine Zusammenhänge mehr, vor lauter Bäumen keinen Wald, vor lauter Taktik keine Strategie, und können Reisewarnungen, Abstandsregeln und Hygienevorschriften nicht mehr als sinnvolle Maßnahmen vermitteln. Und so hoffen sie nur noch, dass endlich der alles entscheidende Parteitag stattfinden wird, an dem alle erleuchtet werden … oder so …

Autor: Johannes Galli | Geschrieben für die Zeitschrift “Lebens(t)räume

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Vielen Dank lieber Johannes Galli ! in der Geschichte die auf die Sprünge hilft, bekam Rapunzel Zwillinge, das wusste ich bisher noch nicht ! man könnte ja bei den Zwillingen anknüpfen und eine weitere Geschichte erzählen. Vielleicht das sie sich verlieren und später wiederfinden oder so ähnlich, oder wie im echten Leben eben auch das beide sich in den selben Mann verlieben, oder sie entdecken bei sich besondere Zauberkräfte oder oder oder !! ok, ist jetzt vielleicht nix für Corona, aber könnte dennoch spannend werden. Liebe Grüße Astrid

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