Die Ratten verlassen das sinkende Schiff nicht! – Der Tragödie zweiter Teil
Ein Possenspiel von Johannes Galli zur aktuellen Lage der Nation
Handelnde Personen (frei erfunden): Kommentierender Moderator Heini Labersack (ARD, ZDF oder RTL, je nachdem, wer besser zahlt), Krisenknazlerin Meckl, Katastrophenminister Heuchlspan, bayrischer Soloministerpräsident Köder, Jockl Schleißheimer (Journalist der Hunkeberger Morgenprost), Kerstin Hochdiquot (Journalistin vom Frauenhofer Fraueninstitut), Rudi Runkelrüb (Journalist vom Hamburger Abendratt), zwei unauffällige Herren vom Psychiatrischen Geheimdienst (PGD), Pausenclown.
Ort: Beratungssaal des Bundeskriminalamts
Anlass: Irgendeine Pressekonferenz, ausgestattet mit Kameras und vielen Mikrofonen
Zeit: Irgendwann kurz vorm Mittagessen
Heini Labersack: „Sehr geehrte Damen und Herren Journalisten, ich freue mich sehr schmerzlich, Sie zu einer weiteren überflüssigen Pressekonferenz eingeladen haben werden zu dürfen, und bitte gleich, mit der nächsten Frage zu beginnen.“
Der erste Journalist, Jockl Schleißheimer, stellt seine Frage: „Meine Frage lautet: Frau Bundesknazlerin, warum stellen Sie nicht die Vertrauensfrage?“
Bundesknazlerin Meckl: „Wer sind Sie überhaupt?“
Jockl Schleißheimer: „Ich bin Jockl Schleißheimer von der Hunkeberger Morgenprost. Und meine Aufforderung an Sie, Frau Bundesknazlerin: Stellen Sie doch schlicht und einfach die Vertrauensfrage.“
Bundesknazlerin Meckl: „Wieso sollte ich das?“
Soloministerpräsident Köder (sich einmischend, zum Journalisten): „Kommen Sie endlich auf den Punkt.“
Jockl Schleißheimer: „Ich bin auf dem Punkt.“ (lauter werdend): „Ich habe an die Bundesknazlerin eine Frage gestellt, erhalte aber keine Antwort.“
Katastrophenminister Heuchelspan und Soloministerpräsident Köder lachen: „Jaja, so ist das in einer Demokratie.“
Bundesknazlerin Meckl: „Meine Herren, mäßigen Sie sich. Ich will die Frage, die an mich gestellt wurde, beantworten und bin im Übrigen für einen harten Lockdown.“ (zum Journalisten): „Wie war Ihre Frage nochmal?“
Jockl Schleißheimer (lauter als notwendig): „Wann stellen Sie endlich die Vertrauensfrage?“
Bundesknazlerin Meckl: „Kann man Ihnen vertrauen, dass Sie Ihren Bericht so schreiben, wie ich ihn meine?“
Journalist: „Wir sind in einem freien Land mit einer freien Meinungsumfrage. Und jeder kann meinen, was er will. Und so werde ich genau das schreiben, was Sie meinen. Und jetzt, verdammt nochmal, antworten Sie auf meine Frage.“
Auf einen Wink des Moderators hin treten zwei Herren hinter einem Paravent hervor. Sie tragen dunkle Anzüge und Sonnenbrille, ausgebeulte Jacketts und Mikrofon im Ohr. Sie sind vom Psychiatrischen Geheimdienst (PGD) und führen Jockl Schleißheimer, den Journalisten der Hunkeberger Morgenprost, unter Protest aus dem Saal.
Bundesknazlerin Meckl ruft ihm hinterher: „Und vergessen Sie nicht, das mit dem Lockdown zu schreiben.“ Dann blickt sie milde lächelnd in die Kameras und fragt: „Hat noch jemand eine Frage?“
Da meldet sich Kerstin Hochdiquot, eine Journalistin im attraktiv kurzen Blondhaarschnitt: „Ich bin Kerstin Hochdiquot vom Frauenhofer Fraueninstitut und habe eine große parlamentarische Anfrage: Gibt es eine statistische Untersuchung, in welchem Verhältnis das Virus Frauen und Männer heimsucht?“
Bundesknazlerin Meckl: „Oh, diese Frage gebe ich an das zuständige Gesundheitsministerium weiter. Ach, und übrigens: Ich bin für einen grundsätzlichen Lockdown! Herr Katastrophenminister Heuchelspan, können Sie die Frage beantworten?“
Katastrophenminister Heuchelspan (erstaunt): „Welche Frage? Ich habe gerade nicht zugehört. Ich war in ein wichtiges Gespräch mit dem russischen Geheimdienst verwickelt. Es ging um ein paar Probedosen von Sputnik V.“
Soloministerpräsident Köder: „Wir sollten nehmen, was wir kriegen können.“
Kerstin Hochdiquot: „Darf ich mich an dieser Stelle in Erinnerung bringen und um die Antwort auf meine Frage bitten?“
Heini Labersack: „Bitte stören Sie nicht mit Ihren penetranten Fragen. Sehen Sie denn nicht, dass die Regierung bei der Arbeit ist?“
Rudi Runkelrüb, Journalist vom Hamburger Abendratt, erhebt sich und ruft: „Frau Bundesknazlerin, wann stellen Sie endlich die Vertrauensfrage?“
Bundesknazlerin Meckl erhebt sich rot vor Zorn, verliert die Fassung und schreit zurück: „Hören Sie mit dieser blöden Frage auf. Ich kenne nicht einen, der mir vertraut, und trotzdem habe ich keine Nachfolgerin. Und solange ich keine Nachfolgerin habe, geht es niemanden was an, wem ich vertraue und wem nicht. Und außerdem bin ich für den knallharten Osterlockdown, und zwar volle Kanne vor und nach Ostern.“
Soloministerpräsident Köder: „Ich möchte Ihnen beipflichten. Ich bin auch für verschärften Lockdown. Und wie verschärft. Aber so verschärft, dass alle Leute sagen: Oh, der ist aber verschärft.“
Heini Labersack: „Ich glaube, wir sind am Ende unserer Pressekonferenz angelangt. Ich möchte den Pausenclown bitten, mit einem spontanen Gedicht die Anwesenden zu erheitern, sodass wir alle wohlgelaunt in die Mittagspause abdampfen können.“
Der Pausenclown erhebt sich und geht zum Rednerpult, übersieht einige Kabel, stolpert, reißt dabei die Kabel aus den Steckdosen, und es wird stockdunkel. Der Pausenclown, dem kein spontanes Gedicht einfällt, haut in seiner Not ein Kinderlied heraus, das seiner Ansicht nach die Lage der Nation im Kern erfasst. Er singt im Dunkeln:
„Ich geh mit meiner Laterne
Und meine Laterne mit mir.
Dort oben leuchten die Sterne,
Hier unten leuchten wir.
Das Licht ist aus,
Wir geh’n nach Haus
Rabimmel, rabammel, rabumm!“
Die Jalousien rollen sich hoch, Sonnenschein dringt ein, die letzten Anwesenden verlassen den Raum durch den Notausgang. In einer unendlich eleganten Gebärde verneigt sich der Pausenclown und spricht in die noch surrenden Kameras: „Danke für nix!“
– ENDE –
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