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Corona Endspurt

Ei, was war denn das? Montags munkelte es allüberall, ein neuer Lockdown stünde vor der Tür. Am Mittwoch dann versammelte die Krisenkanzlerin ihre Krisenminister online um sich herum, legte die Stirn in Falten und sprach ernste, aber dafür harte Worte: „Die Situation ist ernst. Jeder muss Verantwortung übernehmen.“
„Was?“, denke ich entsetzt, „Wir müssen Verantwortung übernehmen? Oje, das sagen die da oben immer, wenn sie nicht mehr weiterwissen.“
Und die Krisenkanzlerin fährt mit ihrer gut trainiert monotonen Stimme fort: „Es muss schnell gehandelt werden“, sagt sie und denkt bestimmt: „Und deswegen werde ich Notstandsverordnungen bemühen, um am Bundestag und Bundesrat vorbei regieren zu dürfen.“
Das war mittwochs. Also, mir ist es egal, was sie gedacht hat. Vielleicht hat sie ja auch so weit gar nicht gedacht, sondern hat nur gedacht: „Ich muss jetzt Stärke und Entschlusskraft zeigen.“
Also, ich persönlich hätte das auf jeden Fall so gedacht. Aber was rede ich denn da eigentlich? Ich bin doch keine Krisenkanzlerin! Und auch wenn ich mich zur Wahl stellen würde, mich würde doch keiner wählen. Und ich käme noch nicht mal über die Null-Komma-Null-Fünf-Promille-Grenze.
Zählen wir nach: Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Fünf Tage. Das nennt die Regierung schnell! Und was geschah in diesen fünf Tagen? Na, was wohl? Nochmal schnell die Großfamilie besuchen und gemeinsam was kochen und feiern. Nochmal schnell ins Theater, bevor das zumacht. Nochmal schnell ins Kino, bevor das zumacht. Und natürlich essen gehen, bevor die Restaurants zumachen. Und nochmal trinken gehen und sich die volle Kante geben, bevor die Bars zumachen. Ach, und die bratentriefende Weihnachtsfeier können wir doch vorziehen und die feuchtfröhliche Silvesterfeier auch. Und natürlich nochmal satt einkaufen gehen. Überall Schlangen von Menschen, Staus in den Innenstädten. Noch einmal Abstand nicht so genau nehmen. Noch einmal den Mundschutz um den Hals als Kehlkopfwärmer tragen. Tolle Initiative der Regierung. Fünf Tage Sodom und Gomorra und dann die Sintflut. Also, ich will mich erklären, keinen Aufschub hätte es geben sollen. Wenn schon am Parlament vorbei, dann mit einer Notstandsverordnung sofort. Der Virus macht doch keine Pause, Menschenskind! Im Gegenteil, der jubelt, denn er kann sich in fünf Tagen so weit verbreiten wie Treibhausgas an einem Sommertag. Wenn man nicht weiß, wie es richtig weitergehen soll, dann bleibt man doch sofort stehen und läuft nicht noch fünf Tage in die falsche Richtung. Dem Volk fünf Tage Zeit geben, um die Sau rauszulassen, heftig auf den Putz zu hauen. Noch einmal unkontrollierte Freiheit. Und die Zahlen der Infektionen, die sich bis dahin verdoppelt hatten, verzehnfachen sich in diesen fünf Tagen.
Und überall aus Funk und Fernsehen klingen Worte wie Beschwörungen, man solle sich verantwortungsbewusst verhalten. Hallo? Ein Leben lang sind wir alle erzogen worden, zu konsumieren, bis wir aus den Latschen kippen. Und plötzlich sollen wir zurückhaltend Verzicht üben. Und plötzlich sollen wir verantwortlich sein. Wo wird das eigentlich gelehrt, Verantwortung zu übernehmen? Gefordert ist das schnell. Aber lehren will das niemand. Denn das würde Unruhe bedeuten, heftige Unruhe! Und wer will in unruhigen Zeiten auch noch staatstragende Unruhe hinzufügen?
Nach diesem mächtigen Schlusswort sei mir noch eine persönliche Anmerkung gestattet. Ich benutze prinzipiell für Virus den Artikel „der“, also „der Virus“. Nun sagen aber alle „das Virus“. Also habe ich mich wieder mal auf die Forschung begeben. Und was sagt der Duden? Na, was sagt der Duden? Er sagt wieder mal: Im wissenschaftlichen Jargon ist „das Virus“ korrekt. Aber die volkssprachliche Ausdrucksweise ist „der Virus“. Ich bin also wieder mal kurz in mich gegangen, um zu überprüfen, ob ich Wissenschaftler bin oder Volkler. Hab mich dann entschieden, lieber Volkler zu bleiben, als zu den Wissenschaftlern überzulaufen. Also, für mich gilt ein für alle Mal: „Der Virus“.

Autor: Johannes Galli | Geschrieben für die Zeitschrift “Lebens(t)räume

Comments (2)

  1. Lieber Johannes,
    Es tut so gut deine unverblümte Wahrheit zu lesen. Jeder wundert sich, keiner wagt es zu denken… danke, dass Du das immer wieder für uns machst 😊

  2. Beeidruckend, wie deine humorvolle Schilderung die Hinterhältigkeit der Maßnahme entlarvt.
    Den Hinweis darauf, dass wir eigentlich nirgendwo Verantwortung lernen, find ich bärenstark!
    Liebe Grüße
    Michael

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