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Versöhnungsclown

Heute möchte ich eine Geschichte aus einem meiner Clownworkshops erzählen, die sich unglaublich dramatisch zuspitzte und sich dann befreiend clownesk auflöste.
Die vierzig Teilnehmer*innen waren allesamt gruppenerfahren gewesen. Ich wollte ihnen eine außergewöhnliche Erfahrung liefern und tat es auch.
Wieder einmal hatte sich die Gruppe in verschiedenen Clownimprovisationen an einem wohlbekannten Thema heftig entzündet: Missver­ständ­nis­se zwischen Mann und Frau.
Viele der Teilnehmer und Teilnehmerinnen hatten große Probleme, diese beiden unterschiedlichen Energieformen männlich und weiblich zu erkennen. Aber noch mehr hatten sie Probleme, sie zu akzeptieren. Und nochmal mehr hatten sie Probleme, diese Probleme in spielerischer Distanz zu bearbeiten.
Manchmal muss man, um einen Konflikt zu lösen, ihn zuerst einmal kräftig aufladen, damit er gut sichtbar wird. Um das Mann-Frau-Konfliktpotential weiter aufzuladen, kam ich also auf folgende verwegene Idee: Die Männer sollten folgende Situation spielen: In einer Kneipe käme bei einem feuchtfröhlichen Abend in einer ­reinen Männerrunde das Thema auf Frauen, und man könnte offen reden und verbal einmal so richtig die Sau rauslassen. Die in der Gruppe anwesenden Frauen sollten im Mittelpunkt der provozierenden Beschreibungen der Männer stehen.
Die ungefähr zwanzig Männer waren meist um die dreißig Jahre alt und nahmen während des sofort anschließenden Spiels kein Blatt vor den Mund. Die zuschauenden Frauen, die in einem großen Kreis um die frei improvisierenden Männer herumsaßen, wurden stiller und zusehends bleicher, denn die Männer sprachen sich in im­mer klareren Worten ihre kaum noch zurückgehaltene Wut gegen alles Weibliche vom Leib.
Dann waren die Frauen dran: Das Spielthema war Kaffeekränzchen und auch hier kam natürlich sofort das Gespräch auf das andere Geschlecht. Nun legten die Frauen los. Sie ließen an den anwesenden Männern kein gutes Haar. Da blieb auch mir die Spucke weg. Die im Kreis sitzenden und zuschauenden Männer hörten still zu. Ihre Lippen wurden schmal und weiß.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich bereits: Ich war zu weit gegangen. Das Ganze hatte sich unglaublich hochgeschaukelt und nun wusste ich nicht mehr, wie ich es wieder runterschaukeln sollte. Deutlich spürte ich, wie sich im Raum eine unheimlich wuchtige Aggression aufbaute. Natürlich tat ich so, als ob ich alles unter Kontrolle hätte, und legte fetzige Musik auf.
Bei jeder Form von Stau ist tanzen gut. Da aber Männer und Frauen in getrennten Kreisen tanzten, staute sich alles nur noch weiter auf.
Nun war es für mich an der Zeit, mir einzugeste­hen, dass ich nichts mehr unter Kontrolle ­hatte. Ich trat ans Fenster und blickte hinaus in den Sternenhimmel und hoffte auf Hilfe aus dem Überirdischen.
Wer bittet, dem wird gegeben. Die Hilfe kam in Form einer Idee.
So hielt ich also die Frauen an, sich auf der einen Seite des Raumes in einer Reihe aufzustellen, mit dem Rücken an der Wand! Das Gleiche galt für die Männer auf der gegenüberliegenden Seite mit dem Rücken an der Wand!
Zu rockiger und sehr aggressiver Musik stapften Männer und Frauen nun auf mein Kommando hin aufeinander zu. In der Mitte blieben sie stehen, rissen sich wütend jeweils ein Kleidungsstück vom Leib, warfen es wutentbrannt auf den Boden, stampften auf, schrieen laut auf und schritten zurück, bis sie wieder mit dem Rücken an der Wand zum Stehen kamen. Dies sollten sie so lange wiederholen, bis sie sich in Unterwäsche gegenüberstanden.
Oh, da entlud sich einiges!
Wie in einem schweren Gewitter mit grellem Blitzschlag kam es zu unglaublichen Ent­la­dun­gen. Wut, Hass und Schmerz schrie und tobten aus jedem und aus jeder heraus. Aller Schmerz, den sie erlitten oder zugefügt hatten, hier entlud er sich aufs Heftig­ste.
Dann standen sie sich in Unterwäsche schwer atmend gegenüber.
Jetzt wechselte ich die Musik. Ich wählte sanfte, liebevolle Klänge und forderte alle auf, sich gegenseitig anzuziehen. Abwechselnd: Einmal sollte der Mann der Frau ein Kleidungsstück anziehen und anschließend sollte die Frau dem Mann ein Kleidungsstück anziehen.
Es war unglaublich, welche Fürsorge sich die, die sich gerade noch angeschrieen hatten, nun gegenseitig angedeihen ließen. Eine tiefe Versöhnung zwischen Mann und Frau fand statt. Viele Tränen liefen und viele tröstende Gesten erreichten verwundete Herzen.
Nun bat ich alle, ihre Clownnasen anzuziehen. Ich legte lustige Musik auf. Nie mehr habe ich Menschen so befreit, so lustig und Mann und Frau so versöhnlich tanzen sehen. 

Auszug aus:

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Wie berührend und tröstlich!!
    Warum werden derart transformierende Spiele nicht auch unseren herrschenden Politikern verordnet? Dann müssten Sie nicht mehr andere für sich in den Krieg ziehen und töten lassen.

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