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Clownspiele

Hier ein schönes Beispiel, wie einmal ein Teilnehmer etwas Wichtiges lernte.
Es war in Schweinfurt. Auf einem Bauernhof hatte der modern denkende Besitzer die Scheune zum Seminarraum umgebaut und unter anderem mich als Gruppenleiter mit meinem Workshop „Clown – Der ewige Verlierer – unbesiegbar!“ eingeladen. Gekommen waren dreißig Teilnehmer und es brodelte vor hoch gesteckter Erwartung und Vorfreude auf viel Spaß. Diese Vorfreude erfüllte sich auch für fast alle.
Im Folgenden will ich von einer Clownim­pro­vi­sa­tion erzählen, in der einer etwas für sein ­Leben lernte: Ein großer, kräftiger Mann, so um die Mitte dreißig, spielte mit einer kleinen, aber nicht schwachen Frau eine faszinierende Clownnummer. Es begann langweilig. Zwar hatten beide die rote Clownnase im Gesicht, aber ihr Spiel war phantasielos. Bis der Clownspieler plötzlich auf die in Maßen kreative Idee kam, seiner Mitspielerin den Schal, den sie loc­ker um ihren Hals geschlungen hatte, wegzunehmen. Das gefiel ihr nicht und sie forderte den Schal mit un­missver­ständ­li­cher Zeichensprache sofort zurück. Er aber fand es den absoluten Höhepunkt clow­nes­ker Komik, dass er ihr den Schal nicht wieder zurück­gab. Sie wurde langsam sauer und ihre Zeichensprache wurde immer bestimmter. Dies beflügelte ihn, weiter mit ihrem Schal herumzualbern. Jetzt wurde sie überdeutlich. Pantomimisch souverän zählte sie langsam mit ­ihren Fingern bis drei und klatschte mit der anderen Hand in die Luft. Nun war es für alle und also auch für den leicht begriffsstutzigen männlichen Clown verständlich, dass sie bis drei ­zählen würde und ihm dann eine scheuern würde, wenn er ihr bis dahin den Schal nicht zurückgegeben hätte.
„Eins“, zählte sie und er grinste, „zwei“, zählte sie und gab ihm nochmal Zeit. Er grinste und tanzte mit ihrem Schal herum und dachte nicht daran, ihn zurückzugeben. Da zählte sie „drei“ und er grinste. Und dann auf einmal grinste er nicht mehr, denn sie war auf ihn zugesprungen und hatte ihm eine geknallt, so dass es laut geklatscht hatte. Alle fünf Finger zeichneten sich auf seiner Wange ab. Er war schockiert, entsetzt, entrüstet und stocksauer.
Er riss sich die Clownnase herunter und brüllte mich an: „Sie hat mich geschlagen!“
Ich blieb still, zum einen, weil ich ihn in seinem Prozess belassen wollte, zum anderen, weil ich keine Ahnung hatte, was ich hätte sagen sollen.
„Hey!“, forderte er mich wieder auf, Stellung zu beziehen, „Sie darf mich doch nicht einfach schlagen, oder?“
Nun war es langsam an der Zeit, ihn in das Regelwerk clownesken Bühnenspiels einzuweisen, also widersprach ich ihm: „Sie hat dich nicht einfach geschlagen.“
Da ich seine trotzige Miene sah, die er aufgrund meines Redebeitrags sofort aufgesetzt hatte, fuhr ich geduldig erläuternd fort: „Sie hat dich ordnungsgemäß aufgefordert, ihr den Schal, den du ihr unrechtmäßig weggenommen hattest, zurückzugeben. Sie hat dir sogar noch mehrere Fristen eingeräumt, die du alle hast verstreichen lassen, bevor sie zum Vollzug geschritten ist.“
Meine eher rechtsanwaltliche Sprache sollte ihm verdeutlichen, dass ich emotional gefasst seinen Fall rein rational betrachtete. Immer noch blickte er mich konsterniert an, also fuhr ich noch geduldiger fort: „Eins – zwei – drei hatte sie doch mit ihren Fingern mehrmals gezählt … und jedes Kind versteht, dass es bei drei einschlägt.“
Er verstand zwar, aber er wollte sich noch nicht beugen. Irgendwas blieb ihm noch unklar.
Also stellte er die Frage, die ihm auf der Zunge lag beziehungsweise auf der Wange brannte: „Was hätte ich denn tun sollen?“
Jetzt hatte er endlich die Sache auf den Punkt gebracht. Ihm war einfach nicht eingefallen, was er hätte machen können, um dem weiblichen Schlag zu entgehen.
Nun meldete sich die clowneske Schlägerin zu Wort und schlug ihm eine Verhaltensalternative vor: „Du hättest mir doch den Schal einfach zurückgeben können.“
Er war verdutzt. Daran hatte er in seinen kühn­sten Träumen nicht gedacht, dass er durch ein kluges Nachgeben die Prügel und auch die Demütigung hätte locker umgehen können.
Ich sah seinem Blick an, dass er Parallelen zu seinem Leben suchte und fand. Ihm war, wie man so schön sagt, ein Licht aufgegangen. Wie oft hatte er im Leben durch trotziges Festhalten Prügel bezogen, wo lockeres Loslassen eine so lässige Alternative gewesen wäre …
Ach, ich könnte noch stundenlang, ja sogar tage- und wochenlang immer weitererzählen von heiteren bis dramatischen Geschichten aus meiner Welt der Clownworkshops. Fünfundzwanzig Jahre lang habe ich nahezu jedes Wochenende Clownworkshops gegeben und viele Menschen zum Lachen, aber auch zum Weinen gebracht. Der Clown markiert nun einmal die Grenze vom Alltag zum Wahnsinn, oder besser und also genauer gesagt die Grenze vom alltäglichen Wahnsinn zur Erleuchtung.
Es ist nicht nötig, über den Clown an dieser Stelle mehr zu schreiben, über seine zutiefst befreiende und dadurch heilende Wirkung, denn in meinen Büchern über den Clown habe ich das alles ausführlich beschrieben. 

Auszug aus:

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mir scheint, dass ich mir die schöne Zeit zu oft vergrollte,
    nur weil diese oder jene nicht so war, wie ich es wollte.
    (mein Clown-Spruch)

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