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Die volle Wahrheit

Meine Clownworkshops, die ich nahezu jedes Wochenende gab, machten mich in den Achtzigern und Neunzigern in der deutschen Work­shop­szene zur lebenden Legende.
Nach harter, schonungsloser Arbeit an mir selbst war es mir gelungen, dass sich jener Ruf um mich verbreitete, auf den ich heute noch stolz bin: „Wenn du die Wahrheit über dich erfahren willst, dann mach einen Clownworkshop bei ­Johannes Galli. Der vermittelt dir als Clown die volle Wahrheit, und zwar mehr, als dir lieb ist.“
Also will ich von einigen Clownworkshops erzählen, die für mein Leben als Clownlehrer die Weichen entscheidend stellten.
Erste Begegnungen mit dem Clown hatte ich schon gehabt. Aber bislang nur als Clownspieler auf der Bühne. Als Clown hatte ich von Anfang an als Senkrechtstarter schon so viel Erfolg, dass meine kleine Familie und ich sehr knapp, aber immerhin davon leben konnten.
Eines Tages kam ich auf die verwegene Idee, einen Clownworkshop anzubieten. So bin ich eben: Wenn mir etwas gut tut und mich begei­stert, dann kann ich gar nicht anders, als zu glauben, dass es auch allen anderen genau so gut tut wie mir selbst und sie genau so begeistert sein werden, wie ich es geworden bin.
Ganz konkret ging ich so vor: Ich kaufte einige Packpapierbögen und einen Pinsel. Den tunkte ich in schwarze Tusche und schrieb die harten Facts aufs Papier: CLOWNWORKSHOP.
Was? Wann? Wo? Wieviel?
Das Ganze schrieb ich dann so dreißig Mal und hängte diese Plakate an zentralen Plätzen in Freiburg im Breisgau auf und wartete auf die Reaktion. Versprochen hatte ich auf meinem Plakat: Bewegung, Spaß und Selbsterkenntnis, das alles für schlappe achtzig Mark.
Das Telefon stand nicht still und schließlich hatte ich fünfunddreißig Teilnehmer und vor allem sehr attraktive Teilnehmerinnen.
Aber hallo!
Zweitausendachthundert Mark an einem Wochenende! Dazu jede Menge Spaß und bewundernde Frauenblicke. Kein Zweifel: Ich war auf die Goldader meines Lebens gestoßen!
Es tut mir wirklich weh, wenn sich jetzt ideali­stisch und romantisch oder spirituell veranlagte Leser von mir abwenden und mich als geldgierigen Menschen abstempeln, nur weil ich meine Einnahmen hier in den Vordergrund stelle.
Warum habe ich nicht die Explosion von unglaublicher Freude bei den meist studentischen Teilnehmern in den Vordergrund gestellt, die ich durch den Workshop bei ihnen bewirkt hatte? Warum habe ich nicht vom Freiheitsrausch erzählt, der bei den Teilnehmern immer dann entstand, wenn sie hinter dem Schutz der roten Clownnase Rollen zu spielen wagten, die sie sich sonst nie zu spielen gewagt hätten?
Ist es denn richtig, gleich von Geldgier zu sprechen, nur weil mich ­Freude durchströmte, als ich das fette Bündel Scheine in der Hand hielt?
„Hey!“, sagte ich zu mir und klopfte mir selbst verbal auf die Schultern, „Jetzt kannst du von deiner Kunst satt leben!“
Es war 1981 und gerade war unser zweites Kind zur Welt gekommen. Meine kleine Familie brauch­te Heimstatt, reichlich Nahrung und meine Kinder kompetente Aufzucht. Altmodisch, wie ich bin, kam mir nie in den Sinn, dass meine Ehefrau und Mutter der Kinder „etwas dazuver­dienen müsse“. Ich trug die Last der ­finanziellen Absicherung und sie die Last der kompetenten Erziehung.
Dieser erste Clownworkshop war für mich das entscheidende Signal gewesen. Jetzt konnte mein Leben als Künstler endlich umfassend und voll selbstverantwortlich beginnen.
Ja, ich gebe es gerne zu, dass ich mich freute, als der Herr die Schleusen öffnete und Geld die Menge auf mich zuströmte. Auch heute noch spüre ich heftige Freude, wenn mir Energie in Form von Geld zuteil wird. Deswegen schreibe ich so ausführlich über dieses Geldthema, weil ich im Laufe meines Lebens viele Menschen, teil­wei­se hochbegabte Künstler, kennengelernt habe, die enorme Probleme im Umgang mit Geld hatten. In ihren seelischen Tiefen hatte sich ein großer Widerstand gegen Geld gebildet. Sie strengten sich regelrecht an, um wenig zu verdienen, und wenn sie darin scheiterten, dann suchten sie Möglichkeiten, das Geld schnell wieder loszuwerden, indem sie unsinnige Dinge kauften oder sich völlig unnötig verschuldeten. Ich bin sicher, dass viele Menschen deswegen kein Geld haben wollen, weil Geld immer mit der drängenden Frage erscheint, was man mit ihm machen soll. Geld will fließen.
Wir müssen bedenken, dass ich ziemlich unsicher in mein Künstlerleben gestartet war. Ich hatte absolut keine Ausbildung in Nichts.
Halt, das stimmt nicht ganz, ich hatte doch Philosophie studiert, das war doch eine Ausbildung – oder? Genau betrachtet war mein Philosophiestudium allerdings eine umfassende Ausbildung in Nichts, aber immerhin besser als keine Ausbildung in Nichts. Oder?
Ach, was rede ich denn da?
Ich gab also Workshops, ohne etwas gelernt zu haben, aber das war damals in Ordnung: Man musste nur gut sein, das sprach sich dann in der Workshopszene bundesweit herum und schon waren die Workshops voll.
Konkret ging das so: Ich gab einen Workshop, und einer Teilnehmerin oder einem Teilnehmer gefiel meine Clownarbeit so gut, dass sie oder er mich hinterher fragte, ob sie oder er einen solchen Workshop auch in ihrer oder seiner Heimat­stadt organisieren könnte, weil sie oder er dort eine Menge Freunde habe, denen meine Arbeit bestimmt auch Spaß machen würde.
Expansion ist für mich Lebensthema und also sagte ich prinzipiell immer zu.
Wie schon erwähnt, bin ich nicht der Typ, der gerne von Erfolgen erzählt, sondern am liebsten von Niederlagen, in denen ich mich bewähren musste, weil ich dann denke, ich bin sinnvoll für die Leserin und den Leser. Von Erfolgen zu erzählen weckt Neid, ein ungutes Gefühl. Von Niederlagen zu erzählen ruft Freude hervor, und wenn man erzählt, wie man die Niederlage überwunden hat, kann sogar Freundschaft entstehen. 

Auszug aus:

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