Weihnachtsbeschränkungen
Gestern kam ich zufällig mit einem Nachbarn ins Gespräch. Wegen der Kontaktbeschränkungen wollte ich es kurz halten, um nicht die von der Regierung verordneten Regeln übermäßig zu unterlaufen. Erst wollte ich ihm kein Gläschen Wein anbieten, aber dann tat ich’s doch. Und nach einer Weile wurden wir beide redselig, und der vorweihnachtlichen Zeit entsprechend diskutierten wir die von der Regierung empfohlenen Weihnachtsbeschränkungen. Ich wusste, in diesen Zeiten weiß man nie, welche Meinung der Andere hat. Denkt er eher quer oder eher genormt? Also hub ich an, weitschweifig das Thema zu umkreisen, sprach von der Notwendigkeit, sich selbst und andere zu beschützen, von Vernunft, die im Falle traditioneller Gewohnheiten vielleicht doch die Oberhand gewinnen sollte, und dass es schwer ist, Opfer zu bringen, aber es vielleicht hin und wieder Situationen gäbe, in denen Opfer unter bestimmten Umständen unbedingt notwendig seien.
Dann beim zweiten Gläschen Wein verebbte mein Redebeitrag und ich war selbst von meinem belanglosen Meinungsgulasch erschüttert. Aber mein Nachbar trug mir nichts nach, klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter und sprach: „Was redest du?“
Und dann kam er mit einem ganz einfachen Statement und das lautete folgendermaßen: „Ich halte mich volle Kanne an alle Weihnachtsbeschränkungen. Kleinster Familienkreis, vielleicht auch allerkleinster Familienkreis. Und wenn es hart auf hart kommt, dann feiere ich alleine.“
Ich war entsetzt. Das hatte ich ihm nicht zugetraut. So eine klare Haltung, mit der er voll hinter den Regierungsbeschlüssen stand. Ich schämte mich für meine Zweifel. Ich musste das mimisch irgendwie klar rübergebracht haben. Da trank er sein zweites Gläschen leer und boxte mich freundschaftlich, was er immer tat, wenn er gut gelaunt und ein wenig angesäuselt war. Dann lachte er. Er lachte sein lautes, röhrendes, schallendes Lachen. Er vibrierte am ganzen Körper und konnte sich kaum noch beruhigen. Immer wieder machte er mein verdutztes Gesicht nach und kriegte sich kaum noch ein. Aber dann wurde es mir zu viel und ich rief: „Was ist denn da so lustig?“
Schweratmend sagte er: „Dass du all den Mumpitz, den ich dir erzählt habe, glaubst. Das ist lustig. Ich werde Weihnachten feiern“, fuhr er fort, „wie jedes Jahr mit der Familie, mit den Kindern, Oma und Opa, Weihnachtsgans und Freunden. Wie Weihnachten jedes Jahr.“
Verdattert gab ich heftig zu bedenken: „Aber das ist doch verboten! Und was sagst du, wenn dich einer fragt, wie du Weihnachten feierst?“
Verschmitzt grinste er: „Dann sage ich ihm genau das, was ich dir vorher gesagt habe. Nämlich, dass ich mich an alle Regeln halte. So machen es doch alle: Öffentlich mit Überzeugung das Richtige sagen und heimlich mit Genuss das Verbotene tun.“
„Ausgefuchst“, dachte ich und überraschte mich mit der Frage, ob ich es nicht auch so machen sollte.
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