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Gänsekrieg

Es war spät abends und ich war aus einem Albtraum aufgeschreckt und beschloss sofort, mich anzuziehen um noch an frischer Luft im Park auf andere Gedanken zu kommen. Ich setzte mich auf eine Parkbank und blickte auf die Gänse, die wie mir schienen reichlich unmotiviert auf dem Zierteich herumschwammen. Da kamen sie: Zwei Gestalten. Mit Skimützen auf dem Kopf und mit einem Schal um den Mund vermummt. Was war hier los? Gewaltbereite Hooligans? Hatte ich eine Demo nicht mitgekriegt?
Man kann mir vorwerfen, ich hätte ja fragen können, aber es ist jetzt an der Zeit zu gestehen, dass ich nicht der Mutigste bin. Ich würd’s nicht direkt feige nennen. Wirklich nicht. Es gibt Situationen, da schlage ich schon mal mit der Faust auf den Tisch. Ehrlich! Aber hier im Kurpark war weit und breit kein Tisch.
Dennoch musste ich herausfinden, was die beiden Dunkelmänner vorhatten. Da lag doch ein Verbrechen in der Luft. Ich verhielt mich still und wurde ganz zum Beobachter. In dem kleinen See vor mir plätscherten Gänse.
Die beiden Gestalten blieben am Ufer stehen. Was war ihr Plan? Und dann sah ich staunenden Auges folgendes: Mit ihren hüfthohen Gummistiefeln sprangen sie knietief ins Wasser und trennten eine Gans von ihrer Herde. Die anderen Gänse und Enten schwammen in die Mitte des Sees und schnatterten ums Leben. Geschickt hatten die Männer die Gans vereinzelt. Wegen der Dunkelheit konnte ich nicht erkennen: Handelte es sich um eine deutsche Weißgans oder eine kanadische Graugans? Die beiden vermummten Gestalten kamen aus dem Wasser und liefen der fluchtwatschelnden Gans hinterher. Jetzt war mir klar: Sie wollten sie fangen. Natürlich! Es war die Vorweihnachtszeit! Und da aß man doch allüberall in christlichen Glaubensgemeinschaften Gans. In diesem Moment war auch der Gans das Lebensbedrohliche der Situation klar geworden. Da rannte die Gans los wie blöd, streckte die Flügel aus, nutzte die hohe Startgeschwindigkeit, um abzuheben, und flatterte davon.
Einer der beiden Männer sagte etwas, was ich wegen des Schals vorm Mund oder im Mund nicht verstehen konnte. Ich glaube, es war folgende Frage: „Wusstest du, dass Gänse fliegen können?“
Mir wurde nun endgültig klar, dass hier ein Verbrechen geplant war: Gänsemord aus Habgier! Ich schlussfolgerte, dass die beiden aus Not gehandelt hatten, weil sie überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit waren. Denn es war doch jedem mitdenkenden Bürger, zu denen ich mich locker einreihte, klar, dass die Gänsepreise in die Höhe schießen würden. Und zwar ziemlich! Und dass außerdem die Gänsehändler ihre tiefgefrorene oder frische Gänseware schon Anfang Oktober zur Vorbestellung angemahnt hatten. Tja, meine Herren Dunkelmänner, in diesen Zeiten ist Information das A und O!
Ich feixte und lachte. Denn ich hatte meine Gans schon lange vorbestellt. Und hätten die beiden mich gefragt, ich hätte meine Verbindungen spielen lassen. Die beiden hatten mich aber nicht gefragt. Ich glaube, sie haben mich unter der Parkbank nicht einmal bemerkt. 

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