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Einladung zum Schweigemarsch

Nun ist es so weit. Einerseits möchte ich auch meine Stimme erheben und ein Zeichen setzen, andererseits aber möchte ich anonym bleiben.
Ich bin der Letzte, der vor einem solchen Balanceakt zurückschreckt. Also wohlan, an die Arbeit. Als erstes will ich eine Partei gründen. Den Namen habe ich schon: ALP! Das ist die „Anonyme Loser Partei“. Wobei ich noch darüber nachdenke, ob das P am Ende nicht auch das englische Wort sein könnte: „Party“. Klingt irgendwie nach einer Tanzparty und lockerer und flockiger als das angestaubte deutsche Wort „Partei“.
Da ich mich ja schon bei „Loser“ für die englische Variante entschieden habe, die viel leichter klingt als das schwerfällige „Verlierer“, macht doch die „Party“ auch Sinn.
Also kurz zusammengefasst: Das naheliegende „Anonyme Verlierer Partei“ ist schlechter wählbar als das viel attraktivere, lässige „Anonyme Loser Party“.
Nach diesen programmatischen Überlegungen muss ich jetzt die konkreten nächsten Schritte vorstellen, mit denen ich meinen markerschütternden Schweigemarsch planen will.
Für eine anonyme Demonstration ist am besten der Sonntagmorgen um 3:45 Uhr als Versammlungszeitpunkt geeignet und 4 Uhr der Schweigeabmarsch.
Die Interessierten werden nun fragen: „Warum am Sonntagmorgen um 3:45 Uhr? Da schläft doch alles?!“
Ja, aber genau das ist doch der günstigste Zeitpunkt für anonyme Tätigkeiten. Kaum jemand ist auf der Straße, um missgünstige Zwischenrufe anzubringen. Auch die Polizei ist um diese Zeit kaum im Dienst. Und das Motto: „So unauffällig wie möglich“ lässt sich um diese Zeit gut umsetzen. Denn wir wollen ja auch niemanden stören und keinen Missmut provozieren.
Auf keinen Fall dürfen Parolen geschrien werden. Aber das verbietet ein Schweigemarsch ja sowieso. Auch Transparente dürfen nicht aufgerollt werden und erst gar nicht mitgenommen werden. Alles soll ebenso unauffällig wie anonym über die Bühne gehen. Wir müssen uns immer vergegenwärtigen, dass diese Aktion beim Amt für öffentliche Ordnung nicht angemeldet ist und ich als Demonstrationsverantwortlicher keine Straftat begehen will.
Auch darf die Kleidung nicht auffällig sein. Keine bunten Mützen, keine orangefarbenen Westen, keine Knickerbocker und auf keinen Fall Schnallenschuhe.
Ich bin bestrebt, auszusehen wie ein Bäcker, der zur Arbeit huscht. Oder ein Schichtarbeiter, der frühmorgens die erste Schicht anstrebt.
Nun mögen die Interessenten fragen: „Aber wie sollen wir uns erkennen?“
Auch hier bin ich nicht um eine Antwort verlegen: Wir erkennen uns durch unauffälliges Zublinzeln. Sollte dies nicht genügen, kann ein unauffälliges Kopfnicken nachgeschoben werden. Mehr ist nicht möglich, da ansonsten das Gesetz der vollständigen Anonymität verletzt würde, was niemand will.
Nachdem nun der Zeitpunkt, das Wie und das Was geklärt ist, muss ich noch Ausführungen über den Ort des Geschehens nachschieben. Es sollten größere Kleinstädte sein, wo wir uns treffen. Und zwar nach dem Zufallsprinzip. Dadurch, dass wir uns rein zufällig treffen, ist das Gesetz der Anonymität aufs Peinlichste genau erfüllt.
Ich hoffe, wir treffen uns bald und erkennen uns auf Anhieb. Es gibt nichts Schöneres, als sich zufällig zu treffen und auf Anhieb als Gleichgesinnten zu erkennen. Ich freue mich, dir zu begegnen. Und achte bitte darauf, wenn ich dir zublinzle, das bin ich! Der Initiator des Schweigemarschs.
Oder meinst du etwa, ich würde um diese gottverlorene Zeit selig in meinem Bett schlummern?

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. ..in voller Anonymität, denn ich möchte mich ja nicht verraten; das ist nur mein Bekenntnis und ich gebe mein Scheitern hier „1x“ offen und ehrlich zu. (mit einem Augenzwinkern)

  2. Vielen Dank für diesen längst überfälligen stillen Aufschrei, der hoffentlich geheim bleibt.

    Es gibt übrigens in Wiesbaden eine Gruppe, die auch so früh unterwegs ist und bei winterlichem Wetter vermummt herumläuft. Die Zugehörigkeit zur Gruppe wird durch verknotete kleine rote Plastiktüten an einer 10 Meter langen Leine signalisiert.
    😎

  3. Ich sage mir: Hansi, hör endlich auf zu träumen und dir zu wünschen ein Erfolgsmensch zu sein, du hast ja genug Erfolg gehabt, was ist da schon dran? Es ist nichts gegenüber dem, der mit seinem eigenen Schicksal in Einklang ist, denn vor dem eigenen Schicksal gibt es kein Entrinnen.

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