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Die Flugremoulade

Es war an einem Donnerstag und ich hatte gerade in Freiburg in meinem kleinen Privattheater einen Improvisationskurs gegeben. Da ich am nächsten Tag schon ein Körpersprache-Training bei der größten österreichischen Bank in Wien geben sollte, war Stress angesagt. Ein Freund fuhr mich rasend schnell nach Basel-Mulhouse, wo ich in ein kleines Düsenflugzeug der Lufthansa einstieg. Überall saßen Businessmanager und so Typen rum, blickten in Bücher oder Zeitungen oder dösten.
In dieser Umgebung findet meine kleine Geschichte einer umfassenden Niederlage statt. Hierzu muss man wissen: Ich war damals besessen von der Idee, einen schlanken wohlgeformten Körper überall mit großem Erfolg zur Schau zu stellen. Allerdings hingen unschöne Fettwalzen über meinem Gürtel, so dass dieser nur noch ansatzweise zu sehen war. Aus diesem Grund hatte ich mir seit drei Tagen strenges Fasten auferlegt. Ich hatte nämlich herausgefunden, dass ich mich ranker, schlanker und wohler fühlte, wenn mich begehrende Frauenblicke verfolgten. Hier meine Fastenstrategie: Viel Wasser, viel Tee und ein bisschen Haferbrei. Als Höhepunkt noch ein Apfel pro Tag.
Mit knurrendem Magen saß ich also jetzt am Fensterplatz des Flugzeugs und blickte auf die Stadt München, die wir gerade überflogen. Da trat eine attraktive Flugbegleiterin aus der Kabine. Sie hielt ein Tablett in den Händen und darauf lagen Häppchen. Viele Männer, denen sie diese Häppchen anbot, lehnten ab, denn sie waren mit irgendetwas beschäftigt, tippten am Handy rum oder lasen die Abendausgabe irgendeiner aufdringlichen Zeitung. Mein Nachbar zum Gang hin döste zu leisen Schnarchgeräuschen.
Da fing ich einen Blick der Flugbegleiterin ein. Er war wirklich nur kurz, aber dieser Blick muss ihr genügt haben, mich zu durchschauen. Sie reichte mir das Tablett und lächelte verführerisch: „Hier, bitte, ein Häppchen für Sie!“
Diese Häppchen waren kleine Scheiben Pumpernickel mit Rinderbraten und lecker, lecker Remouladensoße. Sie dufteten köstlich. Und dazu noch die extrem hingelächelte Aufforderung der Flugbegleiterin, zuzugreifen.
Aber nicht mit mir! Man muss über meinen Charakter wissen, dass ich unheimlich streng, konzentriert und beherrscht sein kann. Schließlich bin ich Steinbock. Und wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann ziehe ich es auch durch. Komme, was da wolle!
„Von wegen, hübsche Lady“, dachte ich, „du verführst mich nicht! Denn du hast keine Ahnung, dass ich über unheimliche Strenge, Konzentration und Beherrschtheit verfüge!“
Ich lächelte sie souverän an und schüttelte leicht meinen Kopf und blickte scheinbar desinteressiert in das blitzende und blinkende München unter mir. Als ich ihr meinen Kopf wieder zudrehte, sah ich, dass sie das Tablett immer noch vor meine Nase hielt.
„Mit mir nicht“, dachte ich nochmals. Und allerfreundlichst sagte ich: „Danke, nein. Ich habe gerade zu Abend gegessen.“
Ich glaube, sie bemerkte, dass ich log. Irgendwie hatte ich meinen Speichelfluss nicht unter Kontrolle und es liefen mir einige Tropfen im Mundwinkel herab. Lächelnd zog sie die richtigen Schlüsse und sagte: „Aber so ein köstliches Häppchen geht doch noch.“
Ich musste ihr widersprechen und zeigte ihr offenherzig meine Speckfalte in meiner Bauch-Hüftgegend, die ich zusammenpresste, so dass sie noch gewaltiger aussah, als sie ohnehin schon war. Ich musste diese unverschämt sympathische Flugbegleiterin loswerden. Mein moralisch gefestigtes Fastengebot bröckelte bereits. Warum quälte sie mich so? Hatte ich ihr nicht klipp und klar die Botschaft vermittelt, dass ich ihre Pumpernickel-Häppchen auf keinen Fall anrühren würde? Ich ließ mich auf einen Blick-Zweikampf ein. Sie blickte standhaft. Mein Blick verfing sich in ihrem blonden Seidenhaar. Da kam ihr das Schicksal zur Hilfe. Mein Nachbar öffnete die Augen, stellte sein penetrantes Schnarchen ein und sog genüsslich den Duft von Pumpernickel, Rinderbraten und Remoulade ein. Sie sagte sofort zu ihm: „Greifen Sie zu!“
Das ließ er sich nicht zweimal sagen und ein Häppchen verschwand in seinem grinsenden Mund. Er kaute genüsslich und leckte sich die Finger ab. Dann blickte sie zu mir und machte mit dem Tablett eine auffordernde Bewegung. Ich wusste, es war die letzte Attacke gegen mich, dann würde sie mich in Ruhe lassen. Mein Nachbar sprach kauend mit vollem Mund: „Köstlich!“, und griff sich noch ein Häppchen.
Mir war klar, dass sie jetzt gehen würde, und ich hörte mich mit tief samtiger Stimme sagen: „Also gut, wenn Sie mir das Häppchen so nett anbieten, dann will ich Sie nicht enttäuschen.“
Blitzschnell fuhr meine Hand hervor. Ich packte ein Häppchen, schob es in meinen gierigen Mund, kaute und sprach ähnlich verzückt wie mein Nachbar: „Köstlich!“
Sie lächelte, zog jetzt endlich das Tablett zurück und ging weiter, um auch den weiteren Fluggästen die köstlichen Häppchen anzubieten. Doch ihre Leckereien waren nicht so begehrt wie erwartet, denn die meisten Fluggäste waren noch immer vertieft in ihre wichtigen Tätigkeiten.
Da besann die freundliche Flugbegleiterin sich meiner und kehrte zu mir zurück. Sie sah an meinem gierigen Blick, dass ich bereit war. Kaum hatte sie das Tablett auch nur leicht in meine Richtung gestreckt, packte ich mir gierig zwei Pumpernickel. Mein Gott, war das herrlich! Den ganzen Tag Wasser, Haferbrei und ein Apfel – und jetzt dies!
Sie grinste und verschwand wieder in der Zwischengang Kabine. Mein Hundeblick folgte ihr und sie kam gleich wieder heraus, einen Teller in der Hand mit den übrigen Pumpernickel-Häppchen. Sie steuerte mich direkt an. Ich half ihr, das Tischchen an der Rückseite meines Vordermannes herunterzulassen. Wortlos stellte sie den Teller vor mich hin, daneben legte sie eine Serviette.
„Guten Appetit“, flötete sie noch und ich mampfte bis Wien den ganzen Teller leer.
Es schmeckte so gut, dass ich kein bisschen schlechtes Gewissen hatte.
Als unser Flugzeug die Parkposition eingenommen hatte, erhob sich zuerst mein Nachbar und dann ich. Ich hatte ihm vorher noch drei Pumpernickel-Häppchen angeboten, die er erfreut annahm und grinsend verzehrte. Mir selbst hatte ich noch die restlichen fünf Häppchen in die Serviette eingeschlagen und in die Jackentasche gesteckt. Ich wollte sie später im Hotel noch in Ruhe genießen.
Die Flugbegleiterin lächelte freundlich, als sie mir den Weg die Gangway hinunter wies.
Als ich die frische Nachtluft einatmete, dachte ich bei mir: „Scheiß Fasterei! Das bringt doch eh alles nix!“ 

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Nur „Ein Hungerkünstler“ weiss wie leicht es ist, das Professionelle Hungern, lieber bin ich nur ein Amateur so zu sagen ein gescheiterter Hungerkünstler.

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