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Ich werde verwanzt

Es war in meiner Mittagspause. Also, ich will ehrlich zugeben, das Wort Mittagspause ist ein bisschen angegeben, weil ich ja derzeit eigentlich eher kaum arbeite. Meinen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente hatte ich bereits bei mehreren zuständigen Ämtern gestellt und so musste ich nur noch die Ämterantwort abwarten, bis es endlich zu dem schon seit langem von mir ersehnten Geldregen kommen würde.
Also, ich wollte meine trotz allem verdiente Mittagspause gerade genießen. Ich hatte mich auf meinem Balkon zurechtgesetzt, eine Flasche Rotwein geöffnet – „Nero d’Avola“, mein Sizilianischer Lieblingswein – mir ein Glas eingekippt, den Schaukelstuhl geölt und mich dann in der Mittagssonne zu meiner Lebensbetrachtung geistig zurückgezogen. Gleich würde ich mir eine Zigarette anzünden, tief einatmen und dann durch meine Nüstern die rauchige Schwermut wieder auspaffen. Aber halt, was war das? Meine Zigaretten waren abwesend. Noch nicht mal ein Tabakkrümel war zurückgeblieben.
Ich hatte mir das Rauchen angewöhnt, weil ich mir meinen übermäßigen Alkoholkonsum abgewöhnen wollte. Ohne wohlschmeckende Zigaretten in allen möglichen Aromavariationen lief derzeit bei mir gar nichts mehr.
Also rausgeschält aus dem bequemen Schaukelstuhl, Jogginghose über die Oberschenkel gestülpt, die Plattfüße in Turnschuhe gepresst und mit Turbogeschwindigkeit zum Kiosk an der Ecke gelatscht. Dort den Kioskpächter Mirko begrüßt, zur Einstimmung ein Jägermeisterchen gekippt, dann meine Bestellung rübergenuschelt: „Eine Schachtel Lucky Strike!“
Mirko reichte mir die Schachtel und sagte: „Na, du trübe Tasse? Hast du wieder deinen Paranoia Anfall?“
Man muss wissen, Mirko ist nebenberuflich mein kostenloser Psychotherapeut, und ich genieße es, mit ihm beim Einkauf meiner Suchtmittel über meine deformierte Psyche zu plaudern.
Natürlich ist mir bewusst, dass ich unter Beobachtung stehe. Denn ich bin eine Verdachtsperson ersten Ranges. Hier die Beweise: Ich lebe alleine. Mir kommt auch keine Frau ins Haus. Das gleiche Schicksal ereilt Männer, die sich aufdringlich bei mir einnisten wollen. Und alle Kinder aus meiner Nachbarschaft laufen schreiend davon, wenn ich aufkreuze. Mehr Beweise sind nicht nötig. Und jeder weiß: Ich bin ein Spion.
Ich gab Mirko keine Antwort, sondern beschloss spontan, eine Ersatzschachtel Zigaretten zu erstehen. Also sagte ich: „Gib mir nochmal Lucky Luke.“
Er kannte meinen Sprachscherz und legte mir anstandslos eine weitere Schachtel Lucky Strike auf die Verkaufstheke.
Ich grinste breit und jetzt antwortete ich ihm leise flüsternd: „Der Bundesnachrichtendienst überlegt, mich abzuhören.“
Mirko lachte laut auf und legte unaufgefordert eine weitere Lucky Strike Packung auf die Theke. Mir war es recht, eine zweite Ersatzschachtel zu erstehen, für den Fall, dass die erste Ersatzschachtel alle würde.
„Was wollen die denn bei dir bitteschön abhören? Du sagst doch gar nix!“
Ich konterte geschickt: „Was weißt du von meinen Selbstgesprächen?“
Er lachte wieder, legte mir dann noch als Geschenk eine Streichholzschachtel obendrauf, und mich nach allen Seiten umblickend zog ich mich unauffällig zurück.
Flugs trabte ich wie ein invalider Hengst zurück in meine Wohnung. Da stolperte ich in eine Überraschung. Ich erstarrte, als ich meine eigene Wohnung betrat. Was war das? Hinten an meiner Heizung sprang ein Mann auf und blickte mich entgeistert an. Er trug Overall, Glatze, Rübennase und Henkelohren.
„Aha“, dachte ich, „der hat Dreck am Stecken.“
Hinterhältig fragte ich ihn: „Was machen Sie denn hier?“
Sofort fiel ihm eine Ausrede ein. Er behauptete nämlich, vom Heizwerk zu sein und sei dabei, die Zähler abzulesen. Aber, schloss er, er sei gerade fertig geworden.
„Was soll diese dummdreiste Lüge?“, dachte ich, lächelte vielbedeutend und fragte gewitzt und hinterhältig mit völlig entspannter Stimme: „Und wie sind Sie hier eingedrungen?“
Der Bursche war ein geschickter Schwindler und hatte sofort eine Lüge parat: „Der Hausmeister hat mich reingelassen.“
„Soso“, dachte ich, „der Hausmeister! Die beiden Kerle stecken also unter einer Decke. Sie arbeiten wohl Hand in Hand. Aber nicht mit mir! Ich weiß genau, was ihr beiden macht. Am helllichten Tag vor meinem Auge montiert ihr Minimikrofone, um mich abzuhören. Und ich weiß auch, wie man diese Minimikrofone nennt. Wanzen nämlich! Kurz gesagt: Ich werde verwanzt. Irgendein Nachrichtendienst verdächtigt mich und will mich überführen. Na wartet, ich leg euch alle rein!“
Herr Rübennase-Segelohr packte flugs seine Werkzeugtasche, schob sich an mir vorbei und verschwand wortlos in der Dunkelheit des Hausflurs.
Ich fand das verdammt unhöflich. Ein weiterer Beweis, dass hier was nicht stimmte.
Ich schritt auf die Heizung zu und sah genau das, was ich erwartete: Hinter der Heizung flackerte ein Lichtlein.
Mein Verdacht bestätigte sich. Überall, wo ich hinschaute, mussten Wanzen installiert worden sein: Wenn ich den Kühlschrank öffnete, ging darin ein weißes Lichtlein an. Oder wenn ich den Herd anmachte, blinkte es rot drauflos. Auch an der Musikanlage leuchtete ein verdächtig grünes Licht. Mehr Beweise waren für mich nicht notwendig.
Es war soweit! Big Brother is watching you!
Man muss in der eigenen Wohnung höllisch aufpassen, was man sagt. Keine Politik-Kritik, keine Industrie-Anklage und schon gar keine Wirtschafts-Missbilligung und schon überhaupt keine Kriegs-Analysen, die zur Zeit heftig weltweit ausgetauscht werden.
Ich musste das Übel bei der Wurzel bekämpfen. Also stürmte ich sofort zum Hausmeister, der im Stock unter mir wohnte. Dort klingelte ich Sturm. Und als er öffnete, schrie ich ihn sofort an: „Wer hat Ihnen erlaubt, meine Wohnung einem Wildfremden zu öffnen?“
Natürlich wartete ich die Antwort nicht ab, sondern versuchte entschlossen, in seine Wohnung hineinzudrängen, um dort nach verdächtigen Zeichen zu suchen, dass sich bei ihm die Zentralstation des Bundesnachrichtendienstes eingenistet hatte, um meine Wohnung abzuhören. Er aber versperrte den Weg mit seinem massigen Körper und schnauzte mich an: „Ich habe mir erlaubt, Ihre Wohnung aufzuschließen für den Kontrolleur vom Heizwerk, da Sie trotz mehrfacher Ankündigung des Termins nicht zu Hause waren.“
„Ha!“, lachte ich ihn aus. „Was für eine plumpe Ausrede. Ich habe Ihren Plan durchschaut. Verwanzen wollen Sie mich.“
Er wurde dunkelrot im Gesicht und schubste mich aus dem Eingang seiner Wohnung heraus und rief: „Hau ab, du armer Irrer!“
Ich schrie zurück: „Getroffene Hunde bellen!“, doch er hörte es nicht mehr, denn er hatte mir die Tür vor der Nase zugeknallt.
Auf dem Weg in meine Wohnung beschloss ich, dem Abhördienst einen Schabernack zu spielen. Ich würde in meiner Wohnung nur noch verschlüsselt sprechen. Ja, genau, das war‘s! Ich würde nur noch so sprechen, dass der abhörende Feind nichts versteht!
So setzte ich mich vor die Heizung, sürpelte ein Fläschchen Rotwein und sprach stark verschlüsselte Sätze, in denen ich immer ein gut verständliches Reizwort einbaute. Hier ein Beispiel: „Schlawurka ganga Sprengstoffgürtel mesta pestoschnutzi gawutzka.“
Und ich stellte mir vor, wie bei dem Reizwort alle möglichen Tonbänder ansprängen, meine Sätze aufgezeichnet würden und sich dann der Abhördienst den Kopf zerbräche, um meinen geäußerten Schwachsinn zu dekodieren. Oh, ich hatte viele Beispiele! Auch: „Putenpoten krawutzgan Geiselnahme-Palästina schlappaina ragunda pierott“ gefiel mir gut. Ich hätte stundenlang weitermachen können. Und da ich sonst nichts zu tun hatte, ging ich in die Küche, kochte mir einen Tee mit Rum, setzte mich vor den Herd und haute noch einen raus: „Ratapata sata Netanjahu-Völkermord schlumba kawurka pinda.“
Ich war mir aber nicht sicher, ob sie das verstehen würden. Deswegen wandte ich mich dem Kühlschrank zu und brachte noch einen weiteren Satz, diesmal mit der korrekten Übersetzung: „Gangrena püstel Ministerpräsident-Israel gunsdoll knallo pengaus.“
Dann stellte ich mich noch entschlossen vor meine Musikanlage und sprach gut verständlich, schön ausformuliert: „Ballubelli ratatapengo Raketenschirm gangreno peno schlurzenfurzen.“
So, wenn sie das dechiffrieren wollten, hätten sie erstmal genug zu tun.
Tja, ich kann verschlüsseln. Ach, ich könnte so Stunden weiter reden.
Ist es nicht das ewige Schicksal vieler Redner, Kommentatoren, Journalisten und vor allem Politiker, dass sie sich so verschlüsselt äußern, dass am Ende nur noch sie selbst sich verstehen? Wenn überhaupt! 

Auszug aus:

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Hallo lieber Johannes,
    ich habe mich köstlich amüsiert und gleichzeitig hat es mich gefröstelt bei so viel Fake und Inkompetenz an den „obersten“ Stellen. Wem soll man denn noch vertrauen, dass einer der „Obersten“ wirklich Frieden will? Und zusammen sprechen geht ehrlich schon gar nicht, obwohl wir im Zeitalter der Kommunikation leben.
    Danke für diesen Blog und mit unfassbar verzweifelten Grüßen
    Gabriele

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