Der vergiftete Apfel
Es empfiehlt sich in diesen schwierigen Zeiten, ein wenig in den großen, alten und weisen Büchern der Menschheit herumzuspähen, ob sich da nichts Anwendbares für unsere momentane Krisensituation finden lässt. Neben dem Buch der Bücher sind es die großen Märchensammlungen aller Völker, die in symbolhafter Form einen unglaublichen Wissens- und Erfahrungsschatz in sich bergen.
Oh, das trifft sich gut, denn ich liebe Märchen über alles!
In Märchen wird das Prinzip Hoffnung gelebt. Und deswegen werden Märchen als Literatur für Kinder zugeordnet, denn Kinder brauchen Hoffnung, um zu gedeihen.
Märchen sind immer nach dem gleichen Muster erzählt: Die Heldin oder der Held erlebt zu Beginn einen Zustand relativer Harmonie. Dann geschieht irgendeine Katastrophe, irgendein Unglück bricht herein und die Heldin oder der Held muss sich bewähren und transformieren. Und am Ende ist ein Zustand höherer Harmonie erreicht als vorher. Wir sehen: Genau das Richtige für unsere Kinder in der heutigen Zeit!
Aber warum sollen die Erwachsenen von Hoffnung ausgeschlossen sein? Sie brauchen doch auch Hoffnung! Und also sind Märchen auch geistige Nahrung für Erwachsene, je nachdem, wie man sie interpretiert.
An dieser Stelle muss ich darauf hinweisen, dass sich Märcheninterpretationen jeder Bewertung entziehen. Es gibt also keine richtige oder falsche Interpretation, sondern es gibt nur eine eigene Interpretation. Genau so, wie man Träume nicht in richtige und falsche Träume unterscheiden kann, kann man auch Märcheninterpretationen nicht in richtige und falsche unterscheiden. Es sind Interpretationen, die jeder für sich selbst macht.
Nach diesen einleitenden Worten möchte ich mich nun einem Märchen zuwenden: Schneewittchen! Da geht es nämlich um Leber und Lunge. Und die Lunge ist ja heutzutage ins Zentrum vieler Überlegungen gerückt. Aber der Reihe nach: Ein hübsches Mädchen mit Namen Schneewittchen, weil Haut weiß wie Schnee, Lippen rot wie blut und Haare schwarz wie Ebenholz, verliert schon früh ihre echte Mutter.
Was bedeutet das? In ihrem Leben fehlt das echte Weiblich-Mütterliche. An die frei gewordene Stelle tritt eine männlich dominierende Stiefmutter. So wie heute? Sind die Frauen heute vermännlicht? Keine echten Mütter mehr, sondern dominierende Stiefmütter?
Entschuldigung, ich frage ja nur! Das wird doch noch erlaubt sein … Nein, ich habe kein altmodisches Frauenbild, keine vorgefertigte Meinung, kein schubladenhaftes Klischeedenken. Ich assoziiere nur ein bisschen herum.
Also, weiter geht’s im Märchen. Die Stiefmutter bekämpft Schneewittchen, weil die heranwächst und von Tag zu Tag schöner wird. Das Alte kämpft gegen das Junge.
Nun ja, wer nach Schönheit und Erfolg giert, muss akzeptieren, dass der ewige Vorteil bei den Jungen liegt und der Nachteil bei den unvermeidlich immer älter werdenden. Da hilft auch keine pharmazeutische Hilfestellung.
Die Stiefmutter wird bitterböse und sie gibt einem Jäger den Befehl, Schneewittchen umzubringen. Typisch männliche Konfliktbewältigung. Mord liegt in der Luft wie ein gefährlicher Virus. Als Beweis muss der Jäger der Stiefmutter Leber und Lunge des Mädchens bringen. Leber als Symbol für Leben und Lunge als Symbol für Kommunikation.
Der Jäger konnte sie täuschen, aber am Ende schaffte es die böse Stiefmutter doch, in einer Mutation – äh, ich meine Verkleidung – das Schneewittchen zu infiz… ich meine vergiften über einen rohen ungeschälten Apfel, auf dessen Oberfläche sich verheerende Viren tummelten.
Schneewittchen hielt sich an keine Abstandsregel, nahm ohne Mundschutz und Einmalhandschuhe den Apfel von der Stiefmutter entgegen, biss hinein, hatte kein starkes Immunsystem zur Hand, denn ihre sieben Chakren, die normalerweise ihr Immunsystem ausmachten, waren als sieben Zwerge verkleidet bei der unterirdischen Arbeit im Bergbau beziehungsweise im abgedrängten Unterbewusstsein. Und so fiel sie ins Koma, symbolisiert durch einen Glassarg. Eine Beatmungsmaschine war nicht verfügbar, denn der Gesundheitsminister des Königreiches hatte vor lauter Privatisierungsideen vergessen, genügend Beatmungsmaschinen für das Land vorzubestellen.
Aber Liebe bewirkt Heilung, und ein liebender Prinz, also ein Mensch wie du und ich, rettet unsere bezaubernde Heldin.
Das heißt für uns: Je mehr wir lieben, umso mehr können wir heilen, sogar uns selbst!
Vielen Dank für diese erhellenden Gedanken!
Ich finde die Analogien zu unserer Corona-Wirklichkeit genial!
Diese Interpretation ist einfach brilliant! Eine wunderbare Idee, das aktuelle Zeitgeschehen mithilfe der Märchen in einen größeren spirituellen Kontext zu setzen.
Der Beitrag ist ein wahrer Leckerbissen!
Hier finde ich wieder einmal einen Ernst in diesem Märchen, das oft zur Unkenntlichkeit verkitscht wurde.