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Frontgespräche

Vorwort des Autors

Wie inzwischen bekannt sein dürfte, habe ich mir glücklicherweise angewöhnt, als Theaterautor Ereignisse der Weltgeschichte in Theaterstücken zu verarbeiten, um mit meinem kindlichen Gemüt die absurden Vorgänge in der Welt besser verstehen zu können.
Hier also mein neues Theaterstück zur aktuellen Lage.

Frontgespräche
Ein Einakter von Johannes Galli

Rollen:
Wolodymyr, genannt Wolo (ein einfacher, kriegsmüder ukrainischer Soldat)
Wladimir, genannt Wladi (ein einfacher, kriegsmüder russischer Soldat)
Wolos Familie (Frau und zwei Kinder)
Wladis Familie (Frau und zwei Kinder)
Soldat (großer, übelwollender Zeitgenosse)

Ort: Irgendwo im stark umkämpften Gebiet der Ukraine

(Von links robbt Wolo heran, bis zu einer aufrecht stehenden Betonmauer, die in der Mitte links auf der Bühne aufgerichtet steht. Er hat einen Helm an mit dem Hoheitszeichen der Ukraine und einfache, selbstgenähte Soldatenkleidung. In den Händen hält er ein Schießgewehr. Lauernd versteckt er sich hinter der linken Betonmauer.
Von rechts robbt Wladi heran, bis zu der aufrecht stehenden Betonmauer, die in der Mitte rechts auf der Bühne aufgerichtet steht. Er hat einen Helm an mit dem Hoheitszeichen Russlands und professionelle Soldatenkleidung. In den Händen hält er eine Kalaschnikow und ist noch mit weiterer Kriegsmunition ausgerüstet. Lauernd versteckt er sich hinter der rechten Betonmauer.)
Wolo (ruft): Hallo, ist da jemand?
(Wladi schweigt hinterhältig.
Gutgläubig erhebt sich Wolo, tritt hinter der Betonmauer hervor, da pfeift ihm eine Kugel am Kopf vorbei.)
Wolo: Ich glaube, da ist jemand.
(Wolo schmeißt sich wieder in Deckung und schießt zurück.
Wladi schießt auch wieder zurück.
So geht das eine Weile in einem ziemlich stumpfsinnigen Rhythmus hin und her. Dann machen sie eine Feuerpause.
Wladi raucht eine. Wolo sieht den Qualm aufsteigen.)
Wolo (ruft): Gib mir auch eine!
Wladi (wirft eine Zigarette in die Mitte der Bühne und ruft): Hol sie dir!
Wolo (durchschaut den Trick und ruft): Meinst du, ich bin blöd? Ich geh raus, will mir die Zigarette holen und du knallst mich zusammen. Schmeiß mir noch eine, aber diesmal weiter – bis hinter meine Mauer.
(Wladi zögert eine kurze Weile, aber dann macht er’s.
Wolo entzündet sich die Zigarette und raucht genießerisch.)
Wolo: Mh, die erste Zigarette seit zwei Tagen. Danke!
Wladi: Bitte!
Wolo: Übrigens, wie geht’s?
Wladi: Es muss!
Wolo: Mir ist scheißkalt.
Wladi: Ich hab einen Scheißhunger.
Wolo: Ich würde sterben für ein hartgekochtes Ei und Weißbrot mit Butter und dazu ’ne Tasse Milchkaffee.
Wladi: Ich kenn einen Hühnerstall in der Nähe.
Wolo: Geh doch hin und bring mir ’n Ei mit.
Wladi: Ja, gerne. Aber dazu muss ich aus der Deckung raus und dann knallst du mich ab.
Wolo: Nee, ich will doch das Ei!
Wladi: Hier sind schon Männer für weniger als ’n Ei abgeknallt worden.
Wolo: Großes Ehrenwort! Ich knall dich nicht ab!
Wladi: Du musst dich entwaffnen. Du musst alle Waffen, die du hast, gut sichtbar hinlegen.
(Wolo legt seine alte Flinte vor die Betonwand.)
Wladi (misstrauisch): Du hast noch was. Ich spüre es genau.
Wolo: Gut, du hast mich erwischt. Ich habe noch so ein altes Taschenmesser von meinem Großvater, aber da ist die Klinge abgebrochen.
Wladi: Mehr hast du nicht?
Wolo: Nö, mehr nicht. Du musst deine Waffen aber auch noch rauslegen.
Wladi: Warum?
Wolo: Ich brauche einen Überblick.
Wladi: Reicht es dir, wenn ich dir sage, was ich habe?
Wolo: Also gut, ich glaube dir. Zähl mal auf, was du hast!
Wladi: Also … eine Kalaschnikow …
Wolo: Mit wieviel Schuss?
Wladi: Dreihundertsiebzehn.
Wolo: Stimmt das wirklich?
Wladi: Du hast mich erwischt. Es sind dreihundertachtzehn.
Wolo: Hab ich dich erwischt, du alter Lügner. Mach weiter. Was hast du noch?
Wladi: Drei Handgranaten.
Wolo: Wehe, du wirfst eine rüber!
Wladi: Ich werfe keine, geschwört!
Wolo: Was hast du noch?
Wladi: Eine Panzerfaust.
Wolo: Weiter!
Wladi: Eine Flugabwehrrakete, eine Pistole, ein Nahkampfmesser! Aber sonst nichts. Ich schwör‘s!
Wolo: Also gut! Es ist zwar scheiß ungerecht, wie gut du bewaffnet bist, aber was soll ich machen? Ich muss dir vertrauen. Wie heißt du eigentlich?
Wladi (förmlich): Angenehm, Wladi. Und du?
Wolo (förmlich): Unangenehm, Wolo. Bring außerdem noch Weißbrot mit Butter mit.
Wladi: He, du Klugscheißer! Wo soll ich denn Weißbrot mit Butter herkriegen?
Wolo: Denk doch mal nach. Wo ein Hühnerstall ist, da gibt es auch Bauern, und die haben alles.
Wladi: Die haben sich doch versteckt.
Wolo: Dann sag halt, dass du unbewaffnet kommst.
Wladi: Die glauben mir nicht.
Wolo: Du musst sie überzeugen!
Wladi: Wie denn?
Wolo: Mit einem demütigen Gesichtsausdruck.
Wladi: Geh du doch!
Wolo: Jetzt sei einmal mutig!
(Da tritt plötzlich Wladi hinter der Betonmauer hervor und hält sich mit beiden Händen die Ohren zu.)
Wolo: Warum hältst du dir die Ohren zu?
Wladi: Wegen des Knalls, wenn du mich erschießt.
Wolo: Was redest du für einen Blödsinn? Ich bin entwaffnet.
Wladi: Was?
Wolo: Nimm die Hände von den Ohren!
Wladi (tut es): Kann ich jetzt endlich gehen?
Wolo: Ja, und sei höflich!
(Wladi schleicht hinter die Bühne. Sofort kriecht Wolo auf dem Bauch liegend ganz langsam in Zeitlupe rüber auf Wladis Seite, um sich dort die Waffen zu stehlen. Da kommt Wladi zurück und erwischt Wolo.)
Wladi: Hab ich dich erwischt!
Wolo (steht auf und sagt entrüstet): Du hast gar nicht so viele Waffen, wie du gesagt hast!
Wladi: Ich habe geblufft!
Wolo: Gib mir mein Ei und die Sache ist vergessen.
Wladi: Hier hast du dein Ei.
(Wladi gibt Wolo das Ei.)
Wolo: Und wo ist Weißbrot und Butter?
Wladi: Ich hab niemanden angetroffen.
Wolo: Ich hab dir doch gesagt, du sollst höflich sein.
Wladi: Wie kann ich höflich sein, wenn ich niemanden antreffe?
Wolo: Das kommt von deinem brutalen Gesichtsausdruck.
Wladi: Ich sag dir was. Geh du doch hin und besorge Weißbrot und Butter. Das wäre nur gerecht.
Wolo: Das ist doch die Höhe, dass du über Gerechtigkeit spekulierst! Aber na gut, ich gehe. Und ich sage dir eins: Lass meine Waffen in Ruhe!
Wladi: Keine Sorge.
(Wolo schleicht nach hinten von der Bühne ab. Wladi nimmt Wolos Gewehr und untersucht es wenig fachmännisch, denn solche alten Schießbolzen hat er schon lange nicht mehr in der Hand gehabt. Da erscheint Wolo mit einem Weißbrot in der einen Hand, Butter in der anderen Hand und um den Hals hat er einen Ringel Wurst geschlungen.
Wladi zielt mit dem Gewehr auf ihn.)
Wladi: Halt, Hände hoch!
Wolo: Vergiss es.
Wladi: Wieso?
Wolo: Da sind keine Patronen drin.
Wladi: Aber du hast doch vorhin geschossen.
Wolo: Ja, ich hatte noch ein paar Platzpatronen.
Wladi: Was soll das denn bringen?
Wolo: Ich mach’s wie du. Ich bluffe.
Wladi: Ok, dann nimm die Hände wieder runter.
Wolo: Ich hatte sie gar nicht oben.
Wladi: Wie geht’s jetzt weiter?
Wolo: Na, ich frühstücke.
Wladi: Was hältst du davon, wenn wir zusammen frühstücken?
Wolo: Aber die Wurst wird gerecht geteilt. Auch das Weißbrot wird gerecht geteilt. Und auch die Butter wird gerecht geteilt.
Wladi: Wir Russen teilen immer gerecht.
Wolo: Bitte was? Also, wie teilen wir? Nach internationalem Recht oder nach russischem Recht?
Wladi: In Ordnung, machen wir ein internationales Frühstück.
(Wladi legt das Gewehr zu Boden, geht auf Wolo zu, sie bauen sich ein Lagerfeuer mit einem kleinen Topf für die Eier, setzen sich hin und essen sehr freundschaftlich ihr Frühstück.)
Wladi: Wo hast du die Bauern gefunden?
Wolo: Sie haben sich im Stroh versteckt.
Wladi: Woher wusstest du, dass sie im Stroh waren?
Wolo: Ich hab mir vorgestellt, ich wäre der Bauer. Und dann hätte ich mich und meine Familie im Stroh versteckt. Und da waren sie auch.
Wladi: Und?
Wolo: Dann hab ich ihnen einen guten Preis gemacht.
Wladi (entsetzt): Was?
Wolo: Ja! Lebensmittel sind teuer in dieser Zeit.
Wladi: Aber so was kauft man doch nicht. Man nimmt sich das einfach.
Wolo: Du nimmst dir’s einfach. Ich kaufe es. Und jetzt kann ich’s essen – mit gutem Gewissen.
Wladi: Mir schmeckt’s auch mit schlechtem Gewissen.
Wolo: Wen hast du zurückgelassen?
Wladi: Meine ganze Familie.
Wolo: Wo?
Wladi: In einem Mietshaus in Moskau. Und du?
Wolo: Ich hab auch meine ganze Familie zurückgelassen.
Wladi: Wo?
Wolo: In Kiew im U-Bahn-Schacht.
Wladi: Wo wollen sie hinfahren?
Wolo: Frag nicht so blöd. Im U-Bahn-Schacht sind sie sicher vor russischen Raketen.
(Inzwischen sind aus dem Bühnenhintergrund zwei Familien erschienen. Die eine Frau mit zwei kleinen Kindern stellt sich hinter Wolo. Die andere Frau mit zwei kleinen Kindern stellt sich hinter Wladi. Wolo und Wladi erheben sich und umarmen zärtlich ihre Frauen. Die Kinder rufen glücklich:)
Kinder: Papa, Papa!
Wolo: Kommt, setzt euch zu uns. Ihr habt bestimmt Hunger.
Wladi: Aber das reicht doch nicht für alle.
Wolo (zu Wladi): Gib mir ein bisschen Geld.
(Wladi greift in die Hosentasche und zieht einige Scheine hervor, die er Wolo reicht. Wolo geht ab und kommt gleich zurück mit noch mehr Weißbrot, Butter und Wurst und Käse. Auch hat er noch Eier dabei, die er in den Topf mit kochendem Wasser legt. Alle schmausen eine Weile, da erscheint plötzlich von hinten ein großer mächtiger Soldat, der gleich losschreit.)
Soldat: Ah, hier sind die Deserteure!
Wladi (nimmt die Flinte, springt auf und sagt): Keinen Schritt weiter, sonst mach ich aus dir ein Sieb. Und wenn du am Leben bleiben willst, dann hau ab.
Soldat (tritt einen Schritt zurück und sagt): Glaub mir, wir werden euch suchen und finden.
(Der Soldat geht ab.)
Wolo: Kommt! Ich kenne einen Platz, wo uns niemand findet.
(Wladis Familie blickt Wladi fragend an.)
Wladis Frau: Können wir ihm trauen?
Wladi: Ja, denn er ist mein Freund.
Wolo: Kommt jetzt, denn die Zeit wird knapp.
(Wolo folgend, gehen alle Hand in Hand ab.)

– ENDE –

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Lieber Johannes, deine Blog Beiträge haben mich für die folgende Geschichte inspiriert:

    Kriegskunst
    Ich hab`s mir überlegt. Ich mach`s. Für eine Million spiele ich Brutus und mache Putin kalt.
    Das Geld würde ich der Ukraine spenden, der Rest ist für meine Kinder.
    Ich würde es so machen. Dieser perfide Krieg verlangt wohlüberlegtes Vorgehen. Ich würde eine Doppelrolle spielen. Hitler auf der einen Seite, Graf Stauffenberg auf der anderen. Dann hätte ich die Attentatssituation von damals schon mal erfaßt. Und schließlich würde ich mich als Brutus zu erkennen geben und Wladimir abstechen.
    Ich werde mich so verwirrend verkleiden, die Augenklappe des Grafen, der Schnauzer von Adolf und irgendwas römisches von Brutus… Putin wird das Rätsel nicht lösen können, wer das eigentlich vor ihm steht, er wird verwirrt sein, Täter und Opfer in einer Person vor sich und diesen Moment wird Brutus ausnutzen und zustechen. Ich werde die Welt von einem Tyrannen befreit haben, als Hitler wird man mir freien Abzug gestatten, genug einflußreiche Faschisten gibt es, überraschenderweise, noch immer in Rußland.
    Mein Kampfruf wird sein: „Nasterowje Zarwajewitsch Diktatorewski Putin, Stoi!“
    Vielleicht würde ich im letzten Moment innehalten, meine wohlgemeinte christliche Erziehung würde sich bemerkbar machen. Dann würde ich zu Gott flehen: „Herr, werfe einen Blitz auf ihn!“ Aber das wäre ja auch Anstiftung zu Mord. Geht nicht.
    Ich merke, ich muß alles genau planen, muß auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Ich kenne mich, am Ende vermassle ich alles und die Welt wäre verloren.
    Ich hab`s! Aushungern werde ich ihn. Wenn ich in meiner Verkleidung schon mal im Kreml bin, ihn einschließen in seinem Zimmer, mich davorstellen als Wache. Wenn er laut um Hilfe ruft würde ich noch lauter singen, die Internationale oder so. Wenn jemand nach ihm fragt würde ich sagen, er hat zu tun, er muß nachdenken, er braucht Ruhe, er hat weitere Pläne, Moldau, Georgien u.s.w. Aber die Pläne sind noch nicht ausgereift, er überlegt noch wann und wie. So könnte ich alle noch eine ganze Weile hinhalten.
    Nach ein paar Tagen würde er dann an der Türe kratzen, kalt würde ich denken, „dann kratz doch ab“. Aber dann würde ich durch die Türe mit ihm sprechen in meinem gebrochenen Russisch von „Friedenowitsch sofortanowski“ reden und er würde, erschöpft flüstern O.K.lewski…
    Mit seiner Schuld freilich muß ich ihn alleine lassen, Das muß er mit einer höheren Instanz regeln. So viele Tote, so viel Zerstörung… Du sollst nicht töten (lassen)!
    Und ich würde den Friedens Nobelpreis erhalten. Ihn aber ablehnen. Es war mir eine Ehre.
    Aber irgend einen Denkfehler muß ich doch gemacht haben bei meinem Plan, ich habe ihn noch nicht gefunden…

    1. Lieber Krispin,
      auch ich grüble nach, dass etwas gemacht werden müsste, um diesen Krieg des Wahnsinns zu stoppen. Aber auch mir fällt nix ein … und dir fällt nix ein … und Stoltenberg fällt nix ein … und Habeck fällt nix ein … und Scholz fällt überhaupt nix ein … und Baerbock fällt auch nix ein …
      Was soll man denn da machen, wenn allen nix einfällt?
      Solidarische Grüße
      Johannes

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