Papagalli erzählt von einer Familiengeburtstagsfeier
Neulich war ich bei meiner Schwester zum Geburtstagsessen eingeladen. Vollbepackt mit Geschenken begrüßte ich sie mit einem donnernden: „Alles Gute zum Geburtstag“ und stand daneben, als sie mit roten Wangen meine Geschenkpakete öffnete. Ich kenne meine Schwester sehr gut und weiß, was ihr Herz begehrt. Und sie weiß, dass ich weiß, was ihr Herz begehrt. Und so spielte sie die Überraschung beim Geschenke-Auspacken perfekt. Ja, was hatte ich denn da mitgebracht? Nougat-Pralinen! Meine Schwester schrie vor Freude und nahm probeweise gleich drei Stück. Als nächstes packte sie die Weinbrandbohnen aus. Auch hier musste sie gleich probieren. Und als drittes Geschenk, ein bisschen als Höhepunkt verpackt, gab es einige Tafeln weiße Schokolade. Und meine Schwester flippte aus.
Dann zog sie sich lächelnd in ihre Küche zurück. Ich erhaschte einen Seitenblick auf die furiosen Köstlichkeiten, und ein Schwall köstlichster Düfte umwehte meine witternde Nase. Gut, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Ich nahm gemeinsam mit ihrem Ehemann, also meinem Schwager, im Esszimmer Platz und wir plauderten bei einem Pastis und Knabbergebäck über dies und jenes. Dann rief meine Schwester aus der Küche, und mein Schwager sprang eilfertig auf, denn was er hörte, war offensichtlich das Signal, dass es losgehe. Kurz darauf schleppte er rotwangig Tablett um Tablett herbei, bis der halbe Speisetisch und die beiden Beistelltische vor Leckereien strotzten.
Die unglaublich gute Geburtstagsstimmung meiner Schwester drückte sich in einem herrlich reichhaltigen Speiseplan aus. Als zünftige Vorspeise gab es Bratwurst mit Kartoffelsalat. In dem Kartoffelsalat waren Schinkenstreifen hinter Kapern launig versteckt. Kaum hatten wir die gut gemeinten Portionen aufgegessen, da kam auch schon das erste Hauptgericht: Glasierte Schweinshaxe mit Semmelknödeln an Sahnesoße mit Buttergemüse. Als zweites Hauptgericht gab es Schweinskopfsülze, frei schwimmend in Remouladensoße. Dazu gab es knusprige Bratkartoffeln. Wahlweise hätte ich auch einen Backfisch essen können, aß ihn aber zusätzlich. Dann gab es eine Verdauungspause, in der sie Blätterteigtaschen mit Salami und Käse gefüllt servierte.
Als Nachspeise gab es Ananas, ertrinkend in Schlagsahne. Dann überraschte sie uns mit einer putzigen Plastikwanne voll Tiramisu. Von dort aus gingen wir direkt zur Käseplatte über.
Weise formulierte meine Schwester: „Käse schließt den Magen.“
Als Getränk gab es Cocktails, süß und sahnig, wahlweise Starkbier oder schweren Rotwein und zum Käse einen kräftigen Portwein. Anschließend servierte sie noch als Abschlussgetränk Eisschokolade mit viel Vanilleeis und einer mächtigen Haube Schlagsahne. Sofort schmeckte ich den Schuss Kognak heraus. Als weitere Überraschung hielt sie eine Flasche Eierlikör bereit.
Meine Schwester hatte als Tischgespräch die zentrale Frage aufgeworfen, woher es kommt, dass ein Mensch wie sie, obwohl er jeden Mittag eine Fastenstunde einlegt, zunehmen kann. Jetzt erst fiel mir auf, dass ihr Ehemann eine Personenwaage reparierte, die irgendwie kaputtgegangen war. Meine Schwester fragte ihn, warum er dauernd an der Waage herumrepariere. Er konterte: „Weil sich immer jemand draufstellt, der zu schwer ist für die Waage.“
Ich schwieg vorsichtig und auch sie ging auf das Thema nicht weiter ein.
Als das Gespräch auf die Knöpfe kam, die überall im Wohnzimmer herumlagen, räumte meine Schwester ein, dass ihr beim Hinsetzen neulich durch die hohe Spannung ein Knopf von ihrer Hose abgesprungen sei. Wo die anderen Knöpfe herkamen, konnte sie sich nicht erklären. Ihr Ehemann und ich blickten uns nur kurz an und vermieden weiteren Blickkontakt. Aber schon gleich darauf schenkte uns meine Schwester mit den Worten: „Prost, zur Verdauung!“, im Wasserglas Sliwowitz ein. Dabei erzählte sie uns von ihrem Hundert-Meter-Dauerlauf, den sie täglich vor dem Frühstück durchführte. Und sie würzte ihre Rede mit folgendem Satz: „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie viel Hunger man nach einem solchen Dauerlauf hat.“
Mein Schwager und ich blickten uns nicht an.
Zum Abschied zeigte meine Schwester mir noch all ihre Kleider, die ihr zu eng geworden waren, in die sie aber, wie sie mir versicherte, in drei Monaten nach einer strengen Diät locker wieder hineinpassen würde.
Nach einer angemessenen Lobeshymne auf das herrliche Essen verabschiedete ich mich und machte mich auf den Heimweg. Als ich in meinen Opel Manta einstieg und das Lenkrad mir in den Bauch drückte, dachte ich bei mir: ‚Welcher Idiot hat denn den Sitz vorgestellt? Ich passe ja kaum hinter’s Lenkrad.’ Ich kam aber zu keinem Ergebnis. Seltsam; da bricht jemand in meinen Manta ein, stellt den Sitz vor und verschwindet wieder. Nun ja … Ich habe in meinem Leben gelernt: Man muss nicht alles verstehen. Ich ging also der Sitzverstellerfrage nicht weiter nach.
Lieber Johannes,
ich habe diese Geburtstagsgeschichte fröhlich lachend genossen. Vielen Dank für die stets tollen Geschichten, die ich immer wieder gerne lese.
Freue mich auf Morgen!
Ilki