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Der Klassenclown (Teil 2)

Nachdem mich eine Zuschrift erreichte, in der der Bittsteller wünschte, die Fortsetzung der Geschichte „Der Klassenclown“ in meinem Blog zu lesen, empfahl ich ihm, das Buch zu kaufen. Allerdings erhielt ich von meinem offensichtlichen Fan umgehend die Antwort, dass er leider derzeit etwas knapp bei Kasse sei und so gespannt, wie die Geschichte weitergehe, dass ihm ein Warten auf finanziell besser gestellte Zeiten unmöglich erscheine.
Nunja … Ich bin der Letzte, der darauf besteht, meine Bücher käuflich zu erwerben. Und so gebe ich dem sympathischen Drängen meines Lesers nach und veröffentliche hier den nächsten Teil der Geschichte.
Wer allerdings nicht genug kriegen kann von meinen Geschichten und also weitere heitere autobiographische Geschichten lesen möchte, dem sei mein Buch empfohlen: „Aus dem Leben eines Clowns – Erste Serie: Frühe Fehlversuche“.

Der Klassenclown (Teil 2)

(…) Tag für Tag wurde meine Not größer. Ich stürzte mich ins Schwimmtraining, und während ich täglich nachmittags meine Bahnen zog, dachte ich immer und immer, sozusagen alle fünfzig Meter aufs Neue nach, wie ich die Liebe meines Herzens beeindrucken könnte, aber ich fand keine Lösung. Damit ich mein Training, 3000 Meter täglich, durchhalten konnte, stellte ich mir vor, sie säße auf der Bank neben dem Schwimmbecken und fände mich umwerfend toll, würde mich abgöttisch bewundern und sich in endloser Sehnsucht nach mir verzehren. Aber in echt saß sie nicht auf der Bank, und wie ich einem zufällig erlauschten Dialog mit ihrer Freundin in der Pause auf dem Schulhof entnehmen konnte, fand sie Schwimmen blöd und langweilig.
Aber noch gab ich nicht auf.
Noch nicht!
Ich war ein leidlich guter Fußballspieler. Was ich an Ballbeherrschung vermissen ließ, machte ich durch lärmende Begeisterung wett.
Das Fach Turnen mutierte dank unseres fußballbegeisterten Sportlehrers bei schönem Wetter zum hemmungslosen Fußballspiel auf dem Schulhof. Die Mädchen, die regelmäßig zu diesem Fach laut ihrer verschämten Aussage ihre Tage hatten, saßen oben auf der Mauer und schaufelten süß mit spitzen Mündchen ihre Fruchtjoghurts. Wir Männer zeigten unten auf dem Spielfeld unsere gestählten Oberkörper (ich ließ mein T-Shirt an) und liefen wichtig und kräftezehrend über den Platz. Wir leisteten Enormes: Wir spielten zu unserem Spaß und für den Sieg, was einige Aufmerksamkeit forderte, und gleichzeitig sahen wir uns mit den Augen der Mädchen, das hieß, wir mussten lässige Eleganz verbreiten und Souveränität ausstrahlen. Auf jeden Fall mussten Stürze vermieden und allzu wuchtige Flüche hinuntergeschluckt werden, ebenso musste mit dem aufmunternden Lob für Mitspieler gespart werden.
Wie gesagt, ich hoffte unbedingt auf meinen Durchbruch, wenn, dann hier, vielleicht schoss ich ja das entscheidende Tor und meine Mitspieler würden mich jubelnd umringen und ich würde ihr einen Blick hoch auf die Tribüne schicken und sie würde errötend zur Seite blicken und still in ihrem Herzen bewundernd zerfließen … Ach, in meinen Tagträumen war ich so sicher, hatte ein so gutes Gefühl für Liebesszenen, die sich höhepunktartig zuspitzten …
Da hörte ich mitten in meinen Tagtraum hinein den gellenden Ruf brutaler Wirklichkeit: „Los, geh!“
Das ist Fußballerdeutsch und bedeutet, dass ich wie ein Blöder lossprinten sollte, da ich gleich einen Pass in die Tiefe des Raumes bekommen würde.
Ich will das hier nicht weiter erklären, da die Freunde des Fußballspiels verständnisvoll, ja sogar mit einer gewissen Spannung weiterlesen, während die am Phänomen Fußball nicht weiter Interessierten die folgenden Details sowieso überspringen würden.
Doch bevor ich meine sportliche Katastrophe schildere, möchte ich die günstige Gelegenheit nutzen, in meine Erzählung unauffällig eine geschickt vorgetragene Entschuldigung einzuflechten. In Bayern hatten wir in den Schulen bereits einen Lederball zur Verfügung gehabt, in Hessen waren sie noch auf dem Niveau des schweren Gummiballs. Einwände, ich hätte mich ja schneller umstellen können, muss ich gelten lassen, aber trotzdem, ich wollte einfach einmal darauf hingewiesen haben, sozusagen um mildernde Umstände bitten …
Der Pass in die Tiefe des Raumes kam und es hatte bis zu diesem Moment 2:2 gestanden und wir waren in der letzten Minute und jeder wusste, die Entscheidung lag in meinen Händen beziehungsweise auf meinem Fuß, denn der Pass kam präzise: Im richtigen Winkel mit der richtigen Geschwindigkeit. Da ich vorher im Spiel schon eine gewisse Ungefährlichkeit demonstriert hatte, war ich vom Gegner ungedeckt geblieben, kurzum, plötzlich war ich alleine vor dem Tor. Der Torwart, der Hüter des gegnerischen Tores sozusagen, tänzelte reichlich nervös in der Gegend herum.
Ha! Er hatte Angst!
Alle hielten die Luft an.
Mein Schuss würde alles entscheiden.
Ich glaube heute ganz fest daran, dass ich einen Lederball unbedingt getroffen hätte. Und wenn ich den getroffen hätte … mein lieber Mann, dann hätte sich der Torwart weiß Gott umsonst gestreckt, wäre durch meinen Knaller von Schuss verdammt gedemütigt worden, hätte sich dann ziemlich kleinlaut umdrehen und den Ball aus dem Netz herauswickeln müssen, in das ich ihn mit brachialer Gewalt geschossen hatte … äh, hätte.
Die geneigte Leserin und der geneigte Leser ahnen, was damals geschah, habe ich doch bereits durch die vor kurzem erwähnte Formulierung „Katastrophe“ das schmähliche Ende meines hoffnungsfroh beginnenden Auftritts vorwegnehmend angedeutet.
Von wegen einfach vorbeigeschossen. Das wäre einem anderen passiert, aber nicht mir. Irgendwie huldigte ich auch hier wieder, wenn auch vollständig unbewusst, dem Prinzip: „Wenn schon, denn schon“.
Ein anderer hätte, wie gesagt, vorbeigeschossen, hätte sich auf die Schenkel geklopft vor Wut über das Missgeschick und hätte dann in die vorwurfsvollen Augen der um den Sieg betrogenen Mitspieler seine Entschuldigung hineingebrüllt, etwa so: „Mist, ich komm’ mit dem Gummiball nicht klar – bin Lederbälle gewöhnt.“ Dann hätte er ein Schulterzucken produziert, das bedeutet hätte: „Das ist halt Schicksal!“, und das wär’s dann gewesen. Aber so einfach kam ich nicht davon.
Der Gummiball fegte aus der schon mehrfach erwähnten Tiefe des Raumes heran und ich berechnete ihn falsch, mein rechtes Schussbein oder mein rechter Schussfuß, je nachdem, wie weit man die verantwortlichen Nervenbahnen miteinbeziehen will, von mir aus auch die ganze rechte Schussseite, kam zu spät. Kurzum, der rechte Fuß trat ins Leere!
Soweit, so gut!
Aber was machte der linke Fuß?
Ja, was machte um Gottes Willen der linke Fuß, das linke Bein, die linke Seite?
Sicherlich wäre es reizvoll, die Situation physiologisch-psychologisch interpretierend einer umfassenden Untersuchung zuzuführen, aber das Ganze ging zu schnell, als dass es als Gegenstand für eine interdisziplinäre, analoge Untersuchung hätte dienen können.
Mit dem linken Fuß trat ich auf den Ball, verlor jeglichen Halt, verlor jedes Gefühl für oben und unten, hinten und vorne. Ich wusste bei Gott nicht mehr, war ich über mir, neben mir, vor mir, hinter mir, oder – und das war wohl am wahrscheinlichsten – unter mir? Sicherlich waren meine Überschläge eindrucksvoll gewesen, der Applaus jedoch blieb aus.
Häme ist furchtbar!
Ach, was sind schon aufgeschlagene Knie, abgeschrappte Oberschenkel, verstauchte Knöchel und blutende Handgelenke gegen die hämischen Blicke der Mitspieler?!
Nun gut, die Mädchen auf der Mauer mischten ein wenig Mitleid unter ihre Schadenfreude, und wie mir schien, mixte Marion Bedauern in ihren Blick. Aber, um Gottes Willen, ich wollte ihre Bewunderung und nicht ihr Bedauern!
Als ich mich langsam unter Schmerzen aufrichtete, erwog ich kurz, die Entschuldigung mit dem Lederball, an den ich gewöhnt war, an den Mann zu bringen, aber ich schwieg. Vielleicht hätte ich ja viele Jahre später die Möglichkeit, diese Geschichte aufzuschreiben und zu veröffentlichen, und dann könnte ich diese Entschuldigung dort unauffällig einflechten.
Der Sturz damals war doppelt hart, denn er war nicht nur schmerzhaft, sondern er war auch meine letzte Chance gewesen, um mich ihr als Held zu offenbaren.
Ich gab auf!
Ich beschloss vom Zeitpunkt dieser Niederlage an, in Zukunft geistig hart zu arbeiten, und richtete mich ansonsten darauf ein, mein Leben als Mönch zu beenden.
Dann passierte es!
(…)

Auszug aus:

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Danke für die herrliche Fortsetzung! Die Geschichte gibt Mut zu Scheitern, denn deinen frühen Beschluss als Folge darauf geistig zu arbeiten kann man heute in vielen Büchern bewundern!

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