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Berufswahlqual 

Als ich so ungefähr zwölf Jahre alt war, umschwebten mich ernste Lebensfragen wie Hornissen ein schweißnasses Pferd. Mutter als meine selbsternannte Berufsberaterin stellte mich eines schönen Nachmittags aus heiterem Himmel vor drei Alternativen bezüglich möglicher Berufe für mich. Sie bot mir als Alternativen ihre drei Lieblingsberufe Förster, Pfarrer oder Arzt an.
Alle ihrer drei wohlgemeinten Vorschläge prallten an mir ab wie ein geblendetes Reh nächtens auf einem Waldweg von der Motorhaube.
Förster war mir zu naturüberlastet und es fehlte zu sehr das weibliche Geschlecht als Anreiz für freudvolle Arbeit.
Pfarrer war mir moralisch sehr verdächtig – entweder zu streng oder zu heuchlerisch. Und auch hier fehlte zu sehr das weibliche Geschlecht als Anreiz für freudvolle Arbeit.
Arzt – vor allem Frauenarzt – wäre verlockend gewesen. Aber ich ahnte schon damals, dass meine naturwissenschaftliche Schwäche, vor allem in Chemie, Mathematik, Physik und Biologie dermaßen stark ausgeprägt war, dass sie ein Medizinstudium verhindern würde.
Meine Mutter konnte nicht ausstehen, wenn ich ihr sehr beredt widersprach, und schnauzte mich entsprechend ihrem ungeduldigen Charakter hart an: „Ei, was willsde dann mol werde, du Dormel?“
Aber da hatte sie sich verrechnet. Denn mit vorgerecktem Kinn und aufgewölbter Stirn schmetterte ich ihr entgegen: „Ich will freier Künstler werden. Und zwar Dichter.“
Sie antwortete: „Ei, babbel doch nit dumm! Du kannst doch nit dischte!“
Da kam sie an den Falschen! Hatte ich nicht gestern erst aus Jux und Tollerei ein Gedicht von Goethe umgeschrieben? Das konnte ich ihr doch jetzt vorlesen und als mein eigenes ausgeben, was es ja im Grunde auch war.
Also holte ich mein Schulheft mit dem Titel „Das eigene Frühwerk“ und las vor:

„Lass nur die Sorgen sein,
Das gibt sich alles schon.
Und fällt der ganze Himmel ein,
Die Lehrer kommen doch davon!“ 

Stolz blickte ich ihr wegen meines wie ich glaubte gelungenen satirischen Gedichtes in die Augen. Sie aber lachte pragmatisch und belustigt rief sie, ich solle mit meinem Gedicht in die Bäckerei Pfeiffer gehen, ob ich dafür ein Brötchen bekäme.
Hoch erhobenen Hauptes ging ich mit meinem Schulheft zur Bäckerei Pfeiffer und stellte mich brav in der langen Reihe an. Ich war sehr aufgeregt. Die junge Frau Pfeiffer hatte eine beachtliche Oberweite, die mir sowieso schon die Schamesröte ins Gesicht trieb.
Als ich an der Reihe war, las ich dann stolz das Gedicht vor. Mit hoher Stimme, noch vor der Pubertät, sprach ich tapfer: „Isch möschd emol ein Gedischt vordrache. Des is von mir selbst. Es is for die Frau Pfeiffer gewidmet.“
Sie errötete, lehnte sich leicht nach vorne, und ich achtete darauf, dass mein Blick sich in ihren Augen verkrallte und keinesfalls abrutschen durfte.
Hinter mir scharrte es ungeduldig und ich hörte Sätze wie: „Ei, was soll dann der Pleedsinn do vonne?“
Aber ich hörte auch eine Stimme, die sagte: „Der is jo goldisch.“
Also deklamierte ich, tapfer den Blick in Frau Pfeiffers Antlitz gerichtet, meine umgedichteten Goethe-Verse.
Als ich fertig war, freute ich mich auf den Applaus, der mir vor allem von Frau Pfeiffer geleistet würde, und stellte mir vor, wie beim Klatschen ihrer Hände ihr Doppelpack auf und ab wippen würde, was mir nochmal die Schamesröte ins Gesicht triebe.
Aber ich hörte kein Klatschen, sondern ungeduldiges Scharren. Ich erntete nichts als verständnisloses Kopfschütteln. Eine knochige Altfrauenhand fuhr mir an meine Schulter und schob mich zur Seite.
Frau Pfeiffers freundliche Stimme flötete: „Was wünschen Sie?“
Souverän entschlüsselte ich aus ihrer Blickrichtung, dass sie nicht mich meinte, sondern die nächste Kundin.
Ich musste das Schicksal erleiden, was so vielen Dichtern blühte: Unerkannt, unbemerkt am Rande der Literaturgeschichte hinwegdümpeln.
Gekränkt und geschlagen machte ich mich auf den Weg nach Hause, wo grinsend meine Mutter und meine Oma standen.
Die beiden feixten: „Un? Was haste for dei Dischtkunst gekrieht?“
Ich strafte diese beiden Kunstbanausen mit Verachtung, ging in mein Zimmer und weinte bitterlich. Das war ein unglücklicher Start in eine Karriere, die ich nie beginnen würde. 

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Das ein Dichter ein brotloser Beruf ist wollte man dir klar machen und das ist auch gelungen. Kunst ist im Grunde eine Verdichtung von all dem, das da ist.

  2. Schriftstellerei ist ja auch die schwierigste Kunstgattung, es verlangt schon einiges; von dem Erlebten ins abstrakte Wort, wo alles neu zu leben erscheint, am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott heisst es… mach es lebendig, erwecke das lebendige Wort.

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