Denkzettel 09 – Sprachschwierigkeiten
Vielleicht ist es an dieser Stelle ratsam, selbstkritisch über meine Probleme mit der spanischen Sprache zu reflektieren, denn gerade in Mexiko geriet ich immer sehr schnell an meine Grenze. Mein Englisch ist recht flüssig und also komme ich im Englisch-Amerikanischen Sprachraum gut zurecht. Aber mit dem Spanischen will es nicht klappen. Da ist in meinen Tiefen ein Widerstand, an den ich nur sehr schwer herankomme. Vielleicht gibt die folgende kleine Geschichte den entscheidenden Hinweis, um meinen Block gegenüber dem Spanischen besser zu verstehen, vielleicht ja sogar auch, um ihn so zu überwinden.
Gerne gebe ich zu, dass mein Spanisch bislang wirklich noch stümperhaft ist. Zwar gelingen mir manchmal kleine Konversationen, aber meistens erlebe ich üble Niederlagen, davon will ich wie schon gesagt selbstkritisch berichten.
Wenn ich in Mexico City weilte, wohnte ich in dem schönen Stadtteil Coyoacan.
Eines Tages kam ich gerade von einem Körpersprachetraining zurück und stellte recht entsetzt fest, dass ich meinen Schlüssel zu meinem Appartement vergessen hatte. Glücklicherweise stand der Hausmeister im Garten hinter dem gusseisernen Eingangsgittertor. Als er mich sah, öffnete er sofort, und ich freute mich, dass mein leichtsinniges Schlüsselvergessen vom Schicksal nicht weiter bestraft worden war.
Da mein Wesen von Natur aus hoch kommunikativ angelegt ist, wollte ich dem freundlichen Hausmeister unbedingt mitteilen, wie sehr ich mich gefreut hatte, ihn anzutreffen, weil ich ja meinen Schlüssel vergessen und er mir durch seine Anwesenheit enorm aus der selbstverschuldeten Patsche geholfen hatte.
So, wie ich den Satz hierhin geschrieben habe, konnte ich ihn natürlich nicht übersetzen, denn „hatte“ deutet ja auf Plusquamperfekt hin und eben diese grammatikalisch klar definierte Zeitform fehlte mir im Spanischen völlig. Also entschied ich mich für Präsens, die einzige Zeitform, die mir bekannt war.
„Olvidar“ ist Spanisch und heißt „vergessen“. Korrekt bildete ich die erste Person Singular Präsens durch anhängen eines „o“ an den Verbstamm. Dieses komplizierte grammatikalische Gerede hört sich im Leben eigentlich ganz einfach an: „olvido“.
Der Hausmeister blickte mich mit großen offenen mexikanischen Augen an.
Ich vermutete mal, er hatte verstanden, denn in seinem Blick erwachte leichte Ungeduld, aus der ich schloss, dass er wissen wollte, was ich vergessen hatte … habe … äh, gerade vergesse.
Nun wurde es schwieriger, denn spontan war mir das spanische Wort für Schlüssel entfallen. Blitzschnell schaltete ich mein lückenhaftes Latein hinzu und aus meinen unbewussten Sprachtiefen torkelte eine schlappe Assoziationskette in mein angespanntes Bewusstsein nach oben: Claudere: schließen. Clausur: Von der Außenwelt abgeschlossen. Claustrophobie: Angst vor und in engen, geschlossenen Räumen.
Mutig stieß ich also hervor: „Olvido el clave.“
Ich hoffte auf einen verständnisvollen Blick. Also so einen Blick, den er aufsetzen würde, wenn er mimisch ausdrücken wollte: „Ja, ich verstehe, Sie haben den Schlüssel vergessen und es ist doch ein glücklicher Zufall, dass ich da war und ich Sie ohne weitere Probleme, die in Mexiko schnell massiv werden können, reinlassen konnte.“
So hätte er blicken sollen. Aber ich blickte in den Abgrund.
Wer kennt ihn nicht, den Blick vollständiger Verständnislosigkeit?! Ein Blick, den es nur zwischen außerirdischen Wesen und Mensch gibt. Ein Blick, den es nur zwischen Mensch und Tier oder auch zwischen Mann und Frau gibt. Keiner versteht auch nur noch das Geringste.
„Clave“, wiederholte ich verzweifelt. Natürlich wurde es nicht besser. Im Gegenteil. Er mischte seiner völligen Verständnislosigkeit auch noch Panik bei. Weil er nicht wusste, ob das eine Anordnung sei, der er spontan Folge leisten musste.
„Clave“, wiederholte ich hoffnungslos.
Wieder verstand er mich nicht.
Ich wollte nicht, aber ich musste auf meine pantomimischen Fähigkeiten zurückgreifen und drehte einen unsichtbaren Schlüssel auffällig im spontan imaginierten Schloss herum.
„Llave!“, schrie er erleichtert auf und formulierte hastig und korrekt: „Olvidaste la llave!“
Ich nickte ihm still aus meiner Niederlage zu und verschwand in meinem Apartment, das er mir vorausschauend aufgeschlossen hatte.
Beide waren wir ein wenig angesäuert und hingen unseren Gedanken nach. Er war wohl ein wenig sauer, dass ich immer noch keine spanischen Basisworte beherrschte, und ich ärgerte mich, dass, obwohl nur ein Buchstabe falsch war, er das Wort nicht verstanden hatte. Würde ein Ausländer zu mir sagen: „Ich vergesse Klüssel oder Schnüssel oder Tüssel oder Rüssel, dann könnte ich doch rückschließen, was er meint. Odel?
Körpersprache ohne Missverständnis.