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Der Samen der Wahrheit

Eine alte chinesische Geschichte erzählt, dass einst ein ehrenwerter König verzweifelt war, weil er keinen Nachkommen hatte. Er grübelte und grübelte und schließlich hatte er eine Idee: Er lud viele begabte Kinder aus seinem Reich ein, um aus ihnen einen Nachfolger zu wählen. Er gab jedem Sonnenblumensamen und sagte ihnen, sie sollten nach Hause gehen und die Samen einpflanzen und zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder am Königshof erscheinen, um ihren Erfolg vorzuweisen. Dann wolle er seinen Nachfolger bestimmen. 
Ein Junge, der gerne König werden wollte, bemühte sich sehr um seine eingepflanzten Samen, doch so sehr er sich auch anstrengte, es wuchs nichts. 
Er war sehr verzweifelt, denn die Wochen waren vergangen und am nächsten Tag sollten alle Anwärter dem König ihr Ergebnis präsentieren. Seine Mutter ermutigte den Jungen, trotzdem zum König zu gehen, denn er hatte ehrlich alles versucht. 
Als er zum Königshof kam, waren alle anderen Bewerber schon mit blühenden Sonnenblumen in ihren Töpfen versammelt und verspotteten den Jungen mit seinem Topf voller Erde. 
Als der König alle Blumentöpfe betrachtet hatte, sagte er zu dem Jungen, der keine Sonnenblume in seinem Topf hatte: „Dich wähle ich zu meinem Nachfolger. Denn ich hatte alle Samen abgekocht. Es konnte nichts wachsen. Du warst als Einziger ehrlich!“ 

Die Deutung ist offensichtlich: Die kluge Mutter erzieht ihren Sohn, die Wahrheit zu sagen. Und siehe da: Die Wahrheit ist der Schlüssel zur Macht. 
Nun frage ich aber: Was machen eigentlich die anderen Mütter? Die alle ihre Söhne dazu erziehen, Sonnenblumen vorzuweisen, wo keine gewachsen sind? Also machen sie Heuchler aus ihren Söhnen? 
Nun gut, ich bin sicher, der chinesische Geschichtenerfinder hat es darauf abgesehen, zu lehren, dass man immer die Wahrheit sagen soll. 
Ich aber denke, dass die vielen Mütter, die ihre Söhne zu Heuchlern erziehen wollen, lernen müssen, die Wahrheit zu schätzen. 

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