Erinnerung schminken
Ach, ich höre sie alle schimpfen, die jungen Leute von heute. Vielen alten Menschen, auch mir, wird vorgeworfen, nur noch in der Vergangenheit zu leben. Unsere Ansichten sind von gestern, sind überholt, und wir werden schief angesehen als die Ewig-Gestrigen.
Ich glaube, so spätestens ab siebzig beginnen wir Alten, das Leben in der Vergangenheit zu loben und zu preisen, schauen zurück auf schöne Momente, die wir erleben durften, und verdrängen unschöne Momente, die wir erleben mussten.
Ach, selige Verlockung, den vergangenen Pfad mit Silbersteinen zu bepflastern … Solange der Geist noch mitmacht, genießen wir das selige Versinken in der eigenen Vergangenheit, in der man jung und stark war und an ein glückliches Leben geglaubt hat. Ach, seliges Versinken!
Und also nutze auch ich meinen immer noch wachen Geist, um mir die Vergangenheit zu vergegenwärtigen und sie vielleicht ein bisschen schöner, lichter, heller und duftender zu gestalten, als sie wirklich war. Denn wer fragt nach der Wirklichkeit, wenn man der einzige Zeuge seiner eigenen Vergangenheit ist?
Und so sitze ich jetzt im Alter oft in Erinnerungen schwelgend da und bilde mir ein, dass es ein schönes Leben war, mit vielen Freunden, viel Gelächter, viel Erkenntnis und viel Spiel – ja, eigentlich immer Spiel!
Oh, schöne Momente der Vergangenheit.
Und indem wir uns auf diese schönen Momente konzentrieren, erzeugen wir alten Menschen das Hochgefühl in uns, das uns Kräfte schenkt für den meist gar nicht mehr so schönen Moment, in dem wir uns gerade befinden.
Manche Über-Siebzig-Jährigen schmieden noch Zukunftspläne, die beinhalten, was man noch alles machen wolle, welche Pläne man endlich in Ruhe verwirklichen könne und welche Genussmittel man konsumieren müsse, um die Lebenslust in die Zukunft, zumindest aber in die Gegenwart zu locken.
Und dann klappt es immer nicht … Der Blutdruck tanzt aus der Reihe, die Wortfindungsschwierigkeiten vermehren sich, das ständige Vergessen wird zum treuen Freund, Krankheiten werden chronisch, Herzinfarkte und Gehirnschläge lauern allüberall, oder irgendwo im Körper wächst eine Geschwulst vor sich hin, die da nicht hingehört.
Und in einer solchen Situation ist es doch lächerlich, große Zukunftspläne zu machen, oder?
Und genau an diesem Punkt erscheint in ausgesprochen düsterer Stimmung das Wissen um den unvermeidlich früher oder später eintretenden Tod. Mit knotigen Fingern klopft er an die Tür des alltäglichen Bewusstseins und stellt die Frage: Dürfen wir uns in unserem Alter noch durch unrealistische Zukunftspläne von dem realen gegenwärtigen Alltagsleben abschalten? Und uns in den schönen Momenten des eigenen Lebens suhlen wie ein fettes Schwein im warmen gemütlichen Alltagslebensschlamm?
Entgeistert stehen wir nun da, wir Altehrwürdigen, Althergebrachten, gebeugt, am Knotenstock des ewig Vergänglichen gestützt und starren trüben Auges ins Gesicht des herannahenden Todes.
Und doch wissen wir, dass das eigene kleine Lichtlein noch brennen kann und vieles beleuchten kann. Gerade Dunkles! Vor allem in dieser Zeit!
Danke für die hoffnungsstiftenden Worte. Das Lichtlein erinnert mich an das Lebenslichtlein von dem Märchen „Gevatter Tod“, dort allerdings verschwindet die Hoffnung als der Tod das Kerzlein ausdrückt, hier wächst sie!
!Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her…! Aber das Kerzlein, das angezündet wird bei der Geburt, erlischt auch wieder ohne unser Zutun. Was danach kommt… wer weiss. Ich finde immer wieder ein Stückchen meiner selbst in Ihren Theaterstücken. So tiefgründig und doch so amüsant. Und Sie haben so wunderbare junge Menschen als Schauspieler. Ich werde noch ganz oft in die Adelheidstrasse kommen. Autor und Darsteller sind für mich grosse Künstler… und „Therapeuten“ für den alltäglichen Wahnsinn, den man ohne Humor kaum bewältigen kann. Einfach großartig. Was Sie alle da leisten.
Erinnerung abschminken
irgendwann bekommt jeder einen Lobeerkranz und irgendwann ist auch dieser Lorbeer verblüht. Stolz und glücklich schauen wir zurück oder vielleicht ein Bisschen wehmütig. Etwas hatten wir gut gemacht darum wird er jetzt nicht ausgelacht. Etwas haben wir falsch gemacht darum lachen wir von ganzem Herzen über uns selber. Ja, lachen über uns selber….
Lieber Johannes,
ich habe mit Freude Deine ‚Schminkenden Erinnerungen‘ gelesen und entnehme, dass es Dir zufriedenstellend geht. Auch für mich bleibt meine Berufszeit eine höchst schöne, interessante und bereichernde Zeit.
Übrigens, und gewiss, der Begriff „alt“ scheint mir recht relativ zu sein, was Deine 70 Jahre und drüber anbelangt, die für mich doch noch recht jung klingen. Ich halte es viel lieber mit Udo Jürgens „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!“.
Im Hinblick auf meine weit über achtzig Jahre, muss ich feststellen:
Ich werde schneller müde als in früherer Zeit, aber dies ist auch auf meine Herzinfarkte zurückzuführen, und somit verbringe ich mehr Zeit auf dem Sofa als im Park.
Trotz allem möchte ich nicht auf mein gutes – noch im medizinischen Rahmen erlaubten – Essen verzichten, begleitet von einem köstlichen Gläschen Rotwein. Meine Ritterfreunde aus dem Schloss Clos Vougeot mögen mir verzeihen, dass ich inzwischen den schweren roten Burgunder durch den verdaulicheren roten Bordeaux ersetze. Eine ausgezeichnete geräucherte hausgemachte Griebenwurst und auch Leberwurst mit einer guten Flasche Bier ist natürlich auch nicht zu verachten. Eine Wurst, die ich leider bei uns in Straßburg nicht bekomme und daher von Zeit zu Zeit einer Gänseleberpastete vorziehe.
Vergessen darf man bei all den leckeren Speisen den Fencheltee zur Verdauung nicht.
Damit der Geist im hohen Alter noch mitmacht, mache ich meine täglichen Gedächtnisübungen gemäß meiner vor mehr als vierzig Jahren erworbenen „Schweizer Methode“. Und wenn alle Stricke reißen, bleiben immer noch der Block und der Bleistift als Gedächtnisstütze.
Gerade im Alter sollten die Männer spätestens beim Rasieren in den Spiegel lächeln – ebenso die Frauen beim Schminken. Das Lachen über sich selbst ist und bleibt die beste Medizin.
Lieber Johannes, bleibe noch recht lange jung!
In diesem Sinne: alles Gute für die Zukunft!