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Rotkäppchen und der böse Virus

Oje … was hab ich denn jetzt wieder angestellt? Schon in der Überschrift einen üblen Grammatikpatzer. Ich höre schon im Geiste, wie mir jede Leserin und jeder Leser entgegenruft: „Aber es heißt doch DAS Virus.“

Gemach, Gemach! Bevor wir herumstreiten, werfen wir doch lieber einen Blick auf duden.de, wo uns das Ganze sehr eindrücklich erklärt wird. Am Ende wird ganz klar festgestellt: Beides ist möglich! Das Virus oder der Virus.

Da ich der Meinung bin, dass der Virus irgendwie männliche Züge trägt, will ich das auch über sein grammatikalisches Geschlecht ausdrücken. Also, ich bleibe bei „der Virus“. Zum einen, weil ich etwas störrisch veranlagt bin, zum andern, weil ich finde, dass der Virus sich ausgesprochen männlich benimmt und obendrein Männer öfters heimsucht als Frauen.

Nun aber flugs ins Märchen hineingespäht und Bezüge zur heutigen Situation herausgefriemelt.

Zu Anfang überreicht die Großmutter ihrer lieben Enkelin einen selbst genähten roten Mundschutz. Das Mädchen erkennt den Ernst der Lage aber nicht, und lustig veranlagt zieht sie den Mundschutz auf den Kopf und heißt fürderhin Rotkäppchen, was viel besser klingt als Rotmundschützchen.

Rotkäppchen lebt mit ihrer Mutter in freiwilliger Isolation. Doch eines Tages, als die Kontaktsperre gelockert wird, schickt die Mutter das Rotkäppchen zur Großmutter ins Waldpflegeheim. Auf dem Weg trifft sie einen infizierten Wolf, der sich weder an die 1,5 Meter Mindestabstand hält noch einen Mundschutz trägt und sie einfach anquatscht.

Streng fragt sie den Wolf: „Hast du dir heute schon die Pfoten gewaschen und desinfiziert?“

Rotkäppchen denkt, dass, wenn sie den Virus ignoriert, er ihr auch nicht schaden kann. Und als der Wolf verdutzt dreinschaut, lässt sie ihn einfach stehen und macht sich auf den Weg zur Großmutter.

Aber Viren sind schnell und können über die Luft vorauseilen.

Und so erreicht der Wolf die Großmutter im Waldpflegeheim lange bevor das Rotkäppchen ankommt. Rotkäppchen ist sehr erstaunt und fragt: „Aber Großmutter, warum liegst du denn im Koma an der Beatmungsmaschine?“

Danach entsteht ein heftiger Disput mit dem Wolf, und das Ende vom Lied ist, dass auch Rotkäppchen an der Beatmungsmaschine hängt.

Oje! Hier wäre ein düsteres Ende.

Aber die Märchen lehren uns, dass es immer ein Happy End geben muss. Denn alle Geschichten sollten glücklich enden, damit die Kinder immer die Hoffnung behalten. Und so kommt auch in diesem wundersamen Märchen ein weltbekannter Virologe des Weges, fackelt nicht lange, diagnostiziert, dass Rotkäppchen und die Großmutter mit einem bösen Virus infiziert sind, zieht eine Spritze aus dem Ärmel, verpasst ihnen eine Impfung und juhu, juchee, juchheißassa, es bilden sich Antikörper, die schlagen die Viren windelweich, dann jagen alle den nutzlosen Wolf zum Teufel, singen, springen und tanzen gemeinsam herum und feiern ihre Immunität. Oh, ist das ein schönes Ende! Und wenn sie nicht gestorben sind…

Nun mag die eine Leserin oder der andere Leser behaupten, das alles wäre doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Und ich antworte keck: Na und?

Autor: Johannes Galli | Geschrieben für die Zeitschrift „Lebens(t)räume“ | Juli 2020

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Herrlich erfrischend. Einmal tief in die Märchentruhe gegriffen und unverhofft eine aktuelle Geschichte herausgeholt, die Schmunzeln und den einen oder auch anderen Lichtstrahl in dieser verunsicherte, bedrückende Zeit zaubert…

  2. Erfrischend humorvoll hat er dieses alte Märchen in unsere heutige Zeit transportiert. Wie immer erbaut mich Johannes Galli mit seinen genialen Fähigkeiten!
    Ein wundervolles Geschenk!
    Herzlichen Dank und Gruss
    Ingeborg

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